Mr. Glovers Garden
Minami Yamate, der südliche Hügel vor Nagasaki mit dem Blick über die Stadt, den Hafen und die Mitsubishi Schiffswerft. Hier hat Thomas Blake Glover (1838 – 1911), Mr. Glover, nach Öffnung Japans im Jahr 1863 die ersten eindrucksvollen westlichen Häuser und Gärten anlegen lassen, die heute zum Touristenspot No. 1 in  Nagasaki geworden sind. Seine Geschichte ist eng verbunden mit der Modernisierung Japans.

Mit 21 Jahren kam Mr. Glover im Jahr 1859, in dem Jahr als die Häfen Japans nach 250 Jahren Abgeschlossenheit wieder geöffnet wurden, nach Nagasaki. Er gründete Glover Trading Company und entwickelte sich vom Händler u.a. auch im Waffenhandel zum führenden Geschäftsmann mit weitreichenden politischen Verbindungen. Er ist der Vater des japanischen „Kirin“ Biers, der später von Mitsubishi übernommenen Werften sowie der japanischen Kohlenbergwerke. Trotz damaligen Verbots in den unruhigen Zeiten der Meiji Restoration schickte er die ersten japanischen Studenten auf seine Kosten zum Studium nach England. Die Geschichte der Industrialisierung Japans von Nagasaki aus geht auf die Herren Thomas Blake Glover, Robert Neil Walker, William Alt, Thomas Albert Glover, Yanosuke Iwasaki (Mitsubishi) und Frederick Ringer zurück. Sie alle wohnten in den westlichen Häusern, noch heute auf dem Gelände von Glovers Garden zu besichtigen.

Puccini & Madam Butterfly
Interessant ist, dass in Mr. Glovers Garden ein Monument des bekannten italienischen Komponisten Giacomo Puccini zu finden ist. Daneben eines von Tamaki Miura, der ersten japanischen Opernsängerin mit internationalem Ruf. Ihre bekannteste Rolle war in Madam Butterfly.    Die Geschichte von „Madame Butterfly“ geht zurück auf eine fiktive Erzählung einer Engländerin, die sich vorgestellt hatte, wie Madame Butterfly in einem Haus wie dem von Mr. Glover gelebt hatte. Als Puccini von dieser damals exotischen Geschichte hörte, komponierte er die Oper „Madame Butterfly“. So kommt es zur Verbindung von Mr. Glovers Garden in Nagasaki zu Puccini und „Madam Butterfly“.

Die Oura Kathedrale
Von Mr. Glovers Garden konnten wir die vielen Kirchen in Nagasaki sehen. Ganz in der Nähe auf dem südlichen Hügel liegt die Oura Kathedrale (Basilika der 26 Märtyrer). Dort 1864 von französischen Priestern von der „Societe des „Mission Etrangeres“ erbaut. Es waren die Brüder Louis Furet und Bernard Petitjean, die mit dem Auftrag nach Nagasaki kamen eine Kirche zur Erinnerung an die 26 Märtyrer zu errichten, die 1597 in Nagasaki gekreuzigt worden waren.

Zur Oura Kathedrale  gibt es eine bewegende Geschichte, die von Papst Pius IX zum „Wunder des Orients“ erklärt wurde, und die der Ausgangspunkt ist, warum man heute in Japan von den „Versteckten Christen“ in Japan spricht. Im März 1865, kurz nach Vollendung der Kathedrale beobachtete Bruder Petitjean eine Gruppe von Menschen vor seiner Kathedrale, die ihn um Einlass baten. Als er am Altar kniete trat eine alte Frau an ihn heran und sagte:  „Wir teilen die gleichen Gefühle in unseren Herzen wie Sie. Wo ist die Statue der Jungfrau Maria?“
Im nachfolgenden Gespräch fand Bruder Petitjean heraus, dass es sich um „versteckte Christen“ aus dem nahe gelegenen Urakami Dorf (heute Stadtteil von Nagasaki mit der Urakami Kathedrale) handelte. Sie waren die Nachkommen der frühen japanischen Christen, die sich nach der Shimabara Rebellion 1630 vor Verfolgung durch die Regierung verstecken mussten, oder so taten als seien sie keine Christen und deshalb ihre Gebete und Zusammenkünfte nur im Verborgenen abhielten.

Um an diesen Vorgang zu erinnern wurde aus Frankreich eine Marien Statue eingeführt. Vor der Kirche ist heute ein Relief zu sehen, das die  Entdeckung der „versteckten Christen“ von 1865 plastisch darstellt. Seit dieser Zeit sind in der Umgebung von Nagasaki zehntausende „versteckte Christen“ aus dem Untergrund in die Öffentlichkeit getretenen. Als diese Geschichte den Vatikan erreichte, hat Papst Pius IX dies zum „Wunder des Orients“ erklärt.

Von hier aus haben die Katholiken dann zur weiteren Verbreitung des Christentums in der Region beigetragen. Heute ist die Oura Kathedrale mit ihren Seminar Gebäuden zum Zentrum der katholischen Mission in Japan geworden. Diese Geschichte ist der eigentliche anlass für unsere Reise nach Nagasaki und Amakusa. Wir wollen verstehen warum Shusaku Endo das Buch für den gleichnamigen Film von Martin Scorcese „Silence“ – Schweigen geschrieben hat und was wir heute noch aus dieser Zeit entdecken können.

Dejima
Während der ca. 250 Jahre (1639 – 1854), in denen Japan keine Ausländer ins Land ließ, war es nur chinesischen und holländischen Schiffen erlaubt in Nagasaki anzulegen um kontrollierten Handel zu betreiben. Der heutige Stadtteil Dejima lag auf einer im Hafen aufgeschütteten Insel, sie war als Ghetto leicht zu überwachen. Dejima diente als Wohn- und Arbeitsbereich ausländischer Kapitäne, von Schiffsbesatzungen und für die chinesischen und holländischen Händler. Noch heute kann die Replik im liebevollen Detail besucht und besichtigt werden. Hier hatten also Chinesen und Holländer gewohnt und gearbeitet und als Fenster zur Welt gedient. Dejima lag ursprünglich direkt vor dem Hafen, zwischenzeitlich ist es allerdings etwas vom Meer in die Stadt verlagert worden, Landgewinnung in Japan ist und war großes Thema, auch in Nagasaki. Während der bis 1863 andauernden Abgeschlossenheit Japans war es nur Chinesen und Holländern erlaubt kontrollierten s.g. Nanban Handel – Handel mit Südbarbaren mit Japan zu betreiben. Beide Nationen hatten keine missionarischen Beweggründe und konnten so, anders als die Portugiesen, Spanier und Franzosen, dem japanischen Shogunat nicht gefährlich werden.

Nagasaki Wharf
Direkt am Hafen wurde erst kürzlich ein langgezogener, zweigeschossiger Bau erstellt, in dem neben einigen Restaurants auf der ersten Etage auch das Informationszentrum für die katholischen Kirchen und christliche Angelegenheiten im Raum Nagasaki  untergebracht ist. In diesem Zentrum sammelten wir erste Informationen über Kirchen und Orte, die wir besuchen wollten. Wir wurden dort dann telefonisch angekündigt, sodass wir später überall von in gelben Jacken bekleideten Herren und Damen der christlichen Welt empfangen wurden.

Eins der Restaurants in diesem Gebäude hatte eine beliebte Nagasaki Spezialität auf der Karte „Toruko Reis“ türkischer Reis. Butterreis, Spagetti Napolitano, paniertes Schweinekotelett (in Japan Tonkatsu), das Ganze übergossen mit Currysoße. Es schmeckte, wie geschildert. Uns konnte im Lokal niemand erklären, warum das nun „Toruko Reis“ hieß. Der Abend war herrlich, wir saßen draußen auf der ersten Etage und ließen den Abend über dem Hafen von Nagasaki hereinbrechen. Vor uns lag ein Viermaster Segelschiff über die Toppen LED-beleuchtet, die gegenüberliegenden Berge verschwammen langsam bei nachlassendem Licht in der Dunkelheit. Nur das Segelschiff, die Beleuchtung der großen Brücke über den Nagasaki Hafen und die sich farblich verändernde Beleuchtung einer Station auf den Bergen gegenüber ließ uns davon träumen, dass wir in einem fremden, noch tiefer zu entdeckendem Land waren. Es war kein Traum, wir waren es tatsächlich.

Gunkan-jima  (Battle-ship Insel)
Etwa eine dreiviertel Stunde mit dem Schiff, vor Nagasaki liegt die Insel Gunkan-jima. Sie heißt „Battle-Ship Insel“, weil sie aus einiger Entfernung aussieht wie ein Panzerkreuzer mit hohen Aufbauten und Schornstein. In Hochzeiten lebten dort 5.300 Menschen, die im Mitsubishi Hashima Bergwerk in bis zu 1.000 Meter Tiefe hochqualitative Kohle abbauten, um die umliegenden Stahlwerke zu beliefern. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurden hier auf allerengstem Raum eine Wohn- und Arbeitswelt geschaffen für die vielen Angestellten, Arbeiter, ihre Familien und Kinder.  Schule, Krankenhaus, Büro, Wohngebäude, Kino, Läden, eine komplette Infrastruktur einer Kleinstadt. Das damals höchste Gebäude Japans mit 7 Stockwerken stand auf Gunkan-jima. Im Laufe der sich veränderten Energie Politik wurde auf andere Energieträger umgestellt. Seit 1974 wird dort keine Kohle mehr abgebaut, die Gebäude wurden verlassen und Wind und Taifunen überlassen. Erst seit 2009 können wieder Menschen auf Gunkan-jima landen und die Überbleibsel dieser Geisterinsel besuchen. Gespenstisch was man hier entdecken kann, verlassene Büroräume, immer noch mit einigen verdreckten Teilen des damaligen Porzellans sind zu sehen, ansonsten Trümmerwüste, die die Gedanken in die Zeit vor 1974  abwandern lassen. Man muss schon die Überfahrt und auch das Wandern auf so einer verlassenen Arbeitsinsel mögen. Es hat seinen speziellen Reiz.

Nachleben in Nagasaki
Wie überall in Japans Städten gibt es in Nagasaki auch ein Nachleben mit kleinen Gassen, und entsprechenden Restaurants. Man könnte sich dort verlaufen, allerdings war zur Zeit unseres Besuchs das Nachtleben eher sehr ruhig.

Dagegen waren im Restaurant Okano, bekannt für seine besondere Fleischqualität, nur durch Vorbestellung zwei Plätze an der heißen Teppan-yaki Platte zu bekommen. Wir kamen mit der Straßenbahn, das Restaurant sollte in nur einer Minute von der Haltstelle zu erreichen sein. Wir konnten jedoch das Lokal von dort nicht gleich finden. Ein kurzer Anruf im Restaurant, dann das Angebot: „ich komme eben und hole Sie ab“. Im Nu stand auf der anderen Straßenseite eine junge Frau mit weißer Schürze. Sie begrüßte uns mit vielen tiefen Verbeugungen, dann warteten wir darauf, dass die Ampel endlich auf grün schaltete. Das dauerte allerdings. Für alle eine Übung in Geduld. Wie sich dann herausstellte, war sie die Dame an der Kasse des Okanos, die sie jetzt für ein paar Minuten verlassen musste, um uns den richtigen Weg zu weisen. Wer in Deutschland hätte das gemacht? Das sind die kleinen Freuden in Japan, die uns immer wieder begeistern.

Im Okano wird auf drei Etagen an der Teppan-yaki Platte bedient. Jeder bekommt seinen eigenen Koch, es ist ausgeschlossen, dass wir einen weiteren Gast an den Tisch für 6 Personen gesetzt bekommen. Nicht sehr effektiv, aber wunderbar. So kommen wir mit dem Koch ins Gespräch. Er erklärt uns, dass das bekannte Wagyu Beef (japanisches Rindfleisch) aus Nagasaki eigentlich das Beste in Japan sei, allerdings würden besonders Ausländer immer wieder nach Kobe oder Matsusaka Beef fragen. Das Nagasaki Rind wäre nicht so sehr von Fettstreifen durchzogen, genauso zart wie die Konkurrenten aus Kobe & Co. Dann erzählt er uns, dass die Wagyu Rinder eigentlich alle  aus Nagasaki und Umgebung stammen würden, dann aber in den anderen Städten entsprechend aufgezogen würden.

Wir lernen, Marketing für Nagasaki Wagyu hat noch einige weiße Flecken, die ausgefüllt werden können. Wir wurden Fans vom Okano wegen seiner Super Qualität des Nagasaki Rindfleisches, seiner fachlich, freundlichen Bedienung sowie der Dame an der Kasse.

Nagasaki China Town
Ja, auch in Nagasaki gibt es ein China Town, Überbleibsel einer einstmals großen chinesischen Handels- und Schifffahrt Belegschaft. Heute ist dieses China Town mehr oder weniger auf eine kleine Hauptstraße mit den hohen roten Eingangstoren auf beiden Seiten zusammengeschrumpft, nicht zu vergleichen mit dem um ein Vielfaches größeren Chinatown in Yokohama.

Direkt am Eingang zu China Town ein großes Restaurant „Kairaku-en“, an einem Sonntagabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Warteliste.

Uns empfängt ein älterer Herr, fragt uns, ob wir auch am Tresen Platz nehmen würden, dann könnte er uns direkt einen Platz anbieten. Wir saßen am Counter und konnten so direkt vor unseren Augen mit ansehen, wie das Kairaku-en geführt wurde.

Zwei ältere Damen checkten die Speisen, die aus der Küche kamen, strichen die Bestellzettel ab und gaben die Gerichte frei. Vier jüngere Mädchen in schwarz-weißen Schürzenkleidern bedienten. Alles ging so schnell. Sobald ein Tisch frei wurde, gab es ein kurzes Zeichen mit der Hand des Anweisers, schon stürzten sich alle vier Bedienerinnen und eine der älteren Damen auf den Tisch, abräumen, neu eindecken, fertig Meldung an den Empfangsherren. Der schickte dann die Gäste von der Warteliste an den Tisch. Die Bestellung wurde wieder von einer der älteren Damen aufgenommen und kurze Zeit später war der Tisch übervoll, wie bei guten Chinesen üblich.

Wir rieten: Die beiden älteren Damen sind die Frau und deren Schwester vom Empfangschef.
Sie haben alles im Griff und der Anweiser kann sich auf die beiden Damen verlassen. Das Essen war hervorragend, deshalb auch die langen Wartelisten.

Beim Zahlen an der Kasse saß dort wiederum ein älterer Herr. Jetzt war uns klar, das ist der Bruder des Empfangschefs und die beiden Damen sind ihre Frauen. Beim Rausgehen kam eine der beiden Damen, jetzt schick angezogen an uns vorbei. Wir grüßten uns und fragten ungeniert, ob unsere Vermutung richtig wäre. Sie konnte es bestätigen. Und sie erzählte uns, dass Sie seit heute Mittag um 11:00 im Restaurant gewesen sei und jetzt um 8:00 nach Hause gehen könnte. Chinesisches Family Business. Mit allen Vor- und Nachteilen.

Das „Kairaku-en“ wurde zu unserem weiteren Favoriten in Nagasaki.