Das Hiiragiya, Kyoto
Mehr als vierzig Jahre lang haben wir bei unseren jährlichen Besuchen in Kyoto im Hotel Okura Kyoto übernachtet. Warum sollten wir uns auch Gedanken über einen Hotelwechsel machen? Uns bestach die gute Lage und das Gefühl dort zu Hause zu sein.
Seit drei Jahren probieren wir neue Hotels in Kyoto aus, denn hier wurden in den vergangenen Jahren viele neues Hotels eröffnet.
Zum Beispiel das ACE-Hotel mit seinem international, jugendlichen Anstrich, für uns eine neue, moderne Richtung mit Frühstück auf der Außen Terrasse. Oder, das The Hiramatsu Kyoto, nicht weit weg vom ACE-Hotel. Von außen im Stil eines alten Kimono-Ladens, innen supermodern, beide sind wirklich empfehlenswert.
Diesmal wollen wir das altehrwürdige Hiiragiya ausprobieren. Alle Hotels liegen in unserem Lieblingsviertel Sanjo, d.h. in unmittelbarer Nähe.
Das Hiiragiya; ein Ryokan aus der Zeit von vor mehr als 200 Jahren und immer noch eines der bekanntesten drei Super-Ryokans in Kyoto. Wer sich das Bild einer alten, typischen japanischen Herberge vorstellt, der findet sich hier bestätigt. Kleine Vordächer, eine Holzbarriere, ockerfarbene Wände, gedämpftes Laternenlicht mit einem zurückhaltenden Hinweis auf den Ryokan, bestehend aus lediglich zwei Kanjis. Das ist das äußere Erscheinungsbild des Hiiragaya. Zurückhaltende Vornehmheit.
Beim Eintreten über die parallel, wie breite Schienen verlaufenden Spursteine, kommen Gedanken auf, wie früher hier an dieser Stelle Sänften mit Gästen abgesetzt wurden. Wer bei seiner Ankunft die Zeit der Gründung im Jahr 1818 vor Augen hat, der ist im heutigen Hiiragiya angekommen und wird auf das Herzlichste begrüßt. Hier haben Künstler, Nobelpreis-Schriftsteller, Wissenschaftler, Politiker, selbst Mitglieder der kaiserlichen Familie gewohnt, unter anderem wohnte hier auch Charlie Chaplin. Ein authentisches Haus mit Geschichte.
Hiiragiya bedeutet ‚Haus der Stechpalme‘. Die Pflanze ist das Markenbild des Hauses, das uns bei unserem zweitägigen Aufenthalt überall begegnet, auf dem Geschirr, dem Bettzeug, den vorbereiteten Schlafanzügen…
Zur Zeit der Gründung im Jahr 1818 glaubte man, dass die Stechpalme böse Geister abhält, daher wurde sie zum Markennamen für das Gasthaus, das unter dem Motto: „Welcome back Home“
damals wie auch heute noch geführt wird.
Von Anfang an, auch als der Betrieb des Ryokans 1868 zum Hauptgeschäft der Familie wurde, wird das Hiiragiya von derselben Familie geführt. Die heutige Inhaberin ist Frau Nishimura.
Schon der herzliche Empfang lässt uns die Wärme dieses familiengeführten Hauses spüren. Schuhe ausziehen, ab hier nur noch in Hausschuhen. Bei einer Tasse Tee und heißen Oshiboris im Empfangsraum, Erledigung der Formalitäten. Danach werden wir herumgeführt. Uns wird gezeigt, wo wir zu Abend essen und wo wir frühstücken können – beides im neuen Bereich des Hauses, der geschickt mit dem alten vermischt wurde. Riesige Glaswände, weit auseinanderstehende Tische, mit dezenter Abdeckung zu anderen Gästen.
Im Familienbad, wieder im alten Bereich, könnten wir nach Anmeldung ein Bad nehmen, obwohl uns im Zimmer auch ein Bad erwartet. So muss es den Ankömmlingen in der alten Zeit ergangen sein, hier konnten sie sich zuerst einmal vom Reisestaub befreien.
Und dann das Zimmer Nr. 21 auf der ersten Etage.
Die Treppe ist steil, aber breit. Es braucht schon etwas Training hier mit den Pantoffeln unfallfrei hoch- und runterzusteigen. Koffer müssen wir in diesem Haus nicht selbst tragen, das wird uns nach Betreten des Ryokans abgenommen, es ginge bei solch einer Treppe auch schwerlich. Unser Zimmer soll eines der ältesten, 200 Jahre alt sein. Zwei Wohnzimmer, ausgelegt mit Tatamiboden, in einem Raum ein niedriger Tisch, der nachts weggeräumt wird, um die Futons für die Nacht auszubreiten.
Doch nicht so im Hiiragaya: Für uns wird im zweiten Wohnzimmer, während wir das Abendessen einnehmen, ein erhöhter Holzrahmen zusammengeschraubt und darauf die Futons für ein Doppelbett aufgeschlagen. Auf die Frage an uns, ob sie das Bett morgenfrüh ab- und dann abends wieder aufbauen sollen, bitten wir, es so zu belassen, wir haben ja noch ein zweites Wohnzimmer.
Es klopft an der Schiebetüre und die Chefin des Hauses, Frau Nishimura, 6. Generation der Betreiber des Hiiragiya macht uns ihre Aufwartung. Das gehört in solch einem vornehmen Ryokan zur Aufgabe der Chefin. Sie erzählte uns die Geschichte des Hauses und geht zurück bis ins Jahr 1818 als ihre Vorfahren aus der Präfektur Fukui kommend hier ein Transport- und Handelsgeschäft begannen. Sie mussten für ihre Kunden und Lieferanten entsprechende Übernachtungsmöglichkeiten bereitstellten, und so ist das bis hin zur heutigen Zeit geblieben.
Frau Nishimura zeigt uns ihr Haus und verschiedene Räume, aus denen gerade die Gäste ausgezogen sind. Jeder Raum ist anders eingerichtet und gestaltet. Zum Schluss kommen wir wieder zu den zwei Familienbädern und erst jetzt verstehen wir, was man uns bei der Ankunft angeboten hatte. Das größere Bad hat eine Holzbadewanne sowie vollständig lackierte Wände und Holzböden. Auf Wunsch würde das temperierte Wasser für uns zeitgenau eingelassen und wir würden zum Bad abgeholt. Natürlich wollen wir dieses Erlebnis am nächsten Morgen ausprobieren. Wer hat schon mal in solch einem Lackkabinett gebadet?
Doch zurück zum Zimmer 21. Natürlich gibt es ein Badezimmer, auch mit einer kleinen Holzwanne. Die Toilette daneben ist sowohl europäisch als auch im Nebenraum japanisch (alter Italienstil), so eine Parallelausstattung sehen wir hier zum ersten Mal. Die Einrichtung ist einerseits im alten Stil belassen, andererseits auf alle heute erforderlichen Annehmlichkeiten, wie Steckdosen, Beleuchtung etc., angepasst.
Das Abendessen im Haus ist ein Genuss, genauso wie das Frühstück am nächsten Morgen, an dem Frau Nishimura uns empfiehlt uns per Taxi zu Ninna-ji und dem Bauerngarten Haradani, fahren zu lassen, um dort Kyotos Kirschblüten in voller Pracht genießen zu können. Sie lässt ein Taxi rufen, der Fahrer, ein älterer Herr, wird uns von ihr vorgestellt: Er ist in Kyoto geboren, in Kyoto aufgewachsen und er hat Kenntnis über alle Geheinisse Kyotos. Sie hatte Recht.
Die spezielle Kirschblüte, „Omuro Sakura“ im Garten des Ninna-ji Tempels stand gerade an dem Tag in voller Blüte. Genauso wie im Haradani Park, wo ein hügeliges Feld vor drei Generationen mit Kirschbäumen bepflanzt und kultiviert wurde, unter denen wir heute wandern oder uns auf einer Bank ausruhen können. Dabei kommen wir mit einer älteren Dame ins Gespräch und philosophieren mit ihr über Harmonie und Frieden. In solch einer Atmosphäre ein naheliegendes Thema.
Abends sind wir mit Freunden im Maiko/Geiko Viertel Gion zum Abendessen verabredet. Sie holen uns per Wagen ab und dann der Schock. War im Kirschbaumgarten unten den Blüten Ruhe und Frieden, im Hiiragiya ruhige Gastlichkeit und japanisches Omotenashi, knubbelten sich in Gion die Touristen, um doch noch ein Foto einer Maiko oder Geiko zu erhaschen. Mit dem Wagen war kaum ein Durchkommen. Das ist die andere Seite des Overtourismus in Kyoto.
Die Nächte im Hiiragiya werden nicht durch Verkehrslärm gestört, der Schlaf ist daher tief und fest. Vor dem Abschied nehmen wir morgens wieder ein Bad im Erdgeschoss und machen uns bereit nach Yokohama zurückzufahren.
Der Shinkansen Richtung Tokyo ist bis auf den letzten Platz belegt. Es ist Hauptreisezeit im Japan der so begehrten Kirschblüten.