Der Name des Hotels in Kyoto verspricht nichts Besonderes.
VGM Hotels and Resorts. Was kann man sich darunter schon vorstellen?
Die Lage des Hauses ist allerdings mehr als exzellent. Nämlich genau da, wo sich die Touristenströme zum weltberühmten Kiyomizu Tempel in die Ninenzaka-Gasse ergießen und wo abends Touristen-Gruppen zum Dinner ins Restaurant Sodoh per Taxi vorgefahren werden, an dieser Schnittstelle liegt das VGM-Hotel.
Eigentlich ist es gar kein richtiges Hotel, oder was wir uns unter einem Hotel mit vielen Zimmern vorstellen. Früher war dieses Haus ein eingeschossiger Ryokan mit sieben Zimmern, daraus wurden ganze drei Zimmer im ersten Stock architektonisch wunderbar zusammengefügt.
Von außen eine hohe, weiße Mauer mit einer Laterne im alten Kyoto-Stil. Über dem schmalen Eingang flattern drei weiße Noren-Fahnen. Touristen, die an diesem Haus in Massen vorbeigehen, machen ein Foto des Hauses und schauen hinter dem Noren in den schmalen, japanischen Garten mit einem ewig fließenden Wasser, das sich in einem Porzellanbecken sammelt.
Der Kyoto-Kenner würde sagen: „Typisch Kyoto“. Das ist es, was Besucher in Kyoto erwarten und sehen wollen.
Wir haben die Möglichkeit hier für zwei Tage zu wohnen.
Der Empfang ist herzlich, aber auch langatmig. Unsere Koffer werden aus dem Taxi gehoben, wir werden sie erst im Zimmer wiedersehen. Und dann die japanische Einführung: Oshiboris (warme Handwaschlappen), Tee oder Kaffee in der zum kleinen Garten ausgerichteten Lounge. Vorstellung des Hotels, Erklärung der Abläufe. Wer so eine Einführung zum ersten Mal miterlebt, wird mit jedem Wort der Hoteldame nervöser und will endlich das gebuchte Zimmer sehen. Doch die Anweisungen nehmen kein Ende.
Das Hauptgeschäft von VGM scheint die Ausrichtung von Hochzeiten zu sein. Die Gesellschaft betreibt verschiedene Hotels in ähnlicher Größe wie unser Hotel hier. Die Besonderheit ist, dass Häuser im alten Stil Kyotos erhalten und stark modernisiert werden. Nur einen Steinwurf entfernt sehen wir am kommenden Tag einen weißen Noren an einem ähnlichen Gebäude flattern, ein weiteres Hotel der VGM-Gruppe. Und tatsächlich, VGM betreibt auch Nipponia Hotels, von denen wir vor einiger Zeit berichtet hatten .
Eine weitere Besonderheit des Hauses:
Es gibt keinen Frühstücksraum, obwohl wir das Zimmer inkl. Frühstück gebucht haben. Des Rätsels Lösung: Die Hotel Gruppe bewirtschaftet die Palais am Heian Schrein für Empfänge und Hochzeiten. Dorthin sollen wir am kommenden Morgen per Taxi zum Frühstück gebracht werden. Wir lassen uns überraschen.
Endlich das Zimmer: Eine steile Treppe führt zu den drei Zimmern, unseres liegt direkt am Ende der Treppe und geht zur Straße hin. Zwei langgezogene, tatamibedeckte Räume. Eine tief von der Decke hängende Holzschnitzerei, für alte Häuser typisch, trennt die beiden Räume optisch. Das ist die Hommage an den früheren Ryokan. Für den langen Ausländer störend, denn es heißt Kopf einziehen, oder die Rübe stoßen. Im zweiten Teil zum Fenster zwei Betten, keine Futons auf der Erde. Die Betten in japanischen Hotels sind über die Jahre allgemein supergut geworden, so auch die Betten in diesem VGM-Hotel. Neben der Eingangstür gibt es einen kleinen Tatami Raum, der sicherlich für mitreisende Kinder gedacht ist. Wir können es für unsere morgendlichen Übungen gut nutzen. Das Bad und die Toilette sind rechts des ersten Raumes. Die Toilette ist zwar supermodern, aber der Raum ist schmal und nur über eine Stufe zu erreichen. Wir erkennen sofort die Gefahr eines Absturzes bei Unachtsamkeit. Also heißt es hier immer schön achtsam zu sein. Alles ist architektonisch modern, sehr großzügig.
Das ‚Schlafzimmer‘ liegt zur Straße, wir können die Gespräche der vorbeigehenden Menschen hören – doch tagsüber sind wir sowieso nicht da, also stört uns das nicht. Im Übrigen liegt unser Hotel nicht an einer Durchgangsstraßefür Autos, sondern es ist eher ein breiter Weg, die in Kyoto bekannte „Nene-no-Michi“ Gasse.
Hin und wieder fahren Taxis vorbei, oder der kleine Lieferwagen, aus dem Horoskop-Maschinen abgeladen und gegenüber aufstellt werden. Diese Maschinen sehen aus wie früher die Erdnuss-Geräte in deutschen Wirtschaften. Für die Horoskope bezahlt wird auf Treu und Glauben in eine kleine Kassette. Das gibt’s wohl auch nur in Japan.
Sobald es dunkel wird ebbt der Touristenstrom ab und wird zunächst zum Rinnsal, dann schlendern die Besucher des Restaurants Sodoh nur noch tropfenweise vorbei. Die Wenigen, die sich in den malerischen Seitengässchen unterhalb des Kiyomizu Tempels verlieren, haben schon wenige Meter vor unserem Hotel die im Zig Zack verlaufende „Ishibe Koji“ Gasse beschritten. Am Eingang der Gasse steht ein großes Schild, auch in Englisch: „No Photograph“, denn diese Bilderbuchgasse ist das Ziel der Kyoto-Süchtigen. An beiden Seiten eng aneinander stehende, dunkle Holzhäuser, in denen das tägliche Leben der Bewohner weitergeht, es ist kein Museum. Eine Gasse, die das Bild Japans oder speziell Kyotos in die Köpfe der Besucher gemalt hat.
Wenn es sie hier nicht gäbe, müsste sie dringend erschaffen werden, um die Vorstellungen der Millionen Besucher von Kyoto zu erfüllen. Keine Filmkulisse, nein es ist Kyoto Realität.
Morgens ist diese Umgebung besonders schön, es gibt kaum Besucher und wir haben diesen schönen Teil Kyotos für uns allein. Nach einem kleinen Spaziergang werden wir am nächsten Morgen von einem Taxi abgeholt und zum Frühstück zum Heian Schrein gefahren. Wie in Japan nicht anders gewohnt, werden wir bereits am Eingang erwartet und zu unserem Tisch geführt – mit Blick über einen weiten Teich zur Taiheikaku-Brücke, der bekanntesten Holzbrücke mit Brückenturm im Heian Schrein Garten. Große, fast zu dicke graue Karpfen, ziehen ihre Bahnen im schlammigen Wasser. „Koyo“, die herbstliche Verfärbung der Blätter an den Ufern des Teiches, beginnt mit zartem Rot. Auch hier wieder: Japan- Liebhaber, was wollt ihr mehr?
Das Frühstück ist eher ein Brunch und wird am Tisch serviert, Edles Geschirr, Silber, oder es ist es doch nur eine Nachbildung, aus der alten Zeit. Sehr edel. Zum Schluss werden uns zwei Tickets für den Heian Schrein Garten sowie ein Taxi-Ticket überreicht. Japanischer Service, begleitet von vielen Verbeugungen.
Wir müssen es nur noch genießen.
Der Heian Schrein wurde 1895 zum 1.100 Jahrestag der Gründung von Heian-Kyo, dem heutigen Kyoto als kaiserliche Hauptstadt Japans, errichtet. Vor dem eigentlichen Schrein Gebäude liegt das Otemon Tor. Das kräftige Rot der Gebäude ist im Laufe der Zeit verblasst. Das imposante Hauptgebäude Daigokuden ist zurzeit eingerüstet und verschwindet hinter Abhängungen. Bestimmt wird das Rot aufgefrischt und begrüßt uns wieder beim nächsten Besuch in Kyoto.
Der Garten, auch genannt „Götter Garten“, hinter und um das Daigokuden, wurde als japanischer Wandelgarten angelegt. Mit seinen 33.000 m2, verschiedenen Teichen und kleinen Seen ist auch dieser Garten das Ziel vieler Japan-Liebhaber. Da führen Trittsteine eines Teiches zum anderen Ufer, von dem der gewonnene Blickwinkel eine neue Perspektive verspricht, andere Baumarten und malerische Einblicke, die die Vorstellungen eines japanischen Gartens erfüllen.
Am Abend sind wir von einem alten Freund zum Kushiage Restaurant eingeladen. Wir sind zu sechst und sitzen an der Theke des Meisters und seiner Frau. Eigentlich wollte er kürzertreten, nur noch wenige Tage sein, in Kyoto bekanntes, Kushi Hirao-Restaurant geöffnet halten. Doch unser Freund, sein alter Stammkunde, konnte den Meister überreden für uns an diesem Abend zu öffnen. Die Köstlichkeiten nahmen kein Ende.
Der Meister sprach Englisch und erklärte mit welcher Soße, oder nur mit einem Spezialsalz die einzelnen Stäbchen gegessen werden sollen. Dazu Sake und Bier, Bier und Sake.
Ein wunderbarer Tag in Kyoto neigte sich wieder dem Ende.
Morgen wollen wir den Daitokuji Tempelbezirk besuchen, um das Grab des Herrschers von Japan Oda Nobunaga (1534 – 1582) zu sehen. Nobunaga vereinte Japan, wurde jedoch ermordet, bevor es das Land vollständig befrieden konnte. Erst seinem Nachfolger Toyotomi Hideyoshi (1537 – 1598) gelang die weitgehende Einigung Japans…..
Vor fast 10 Jahren hatten wir den Daisen-in Tempel im Daitoku-ji Bezirk schon einmal besucht und mit dem damals 83 jaehrigen Abt Soen Ozeki über Shoganai philosophiert . Damals gab er uns zu Shoganai folgende Antwort:
„Eigentlich sollte der Mensch nicht so einfach Shoganai denken oder aussprechen, denn es könnte zu schnell Hoffnungslosigkeit oder Aufgabe ausdrücken. Was es aber unter keinen Umständen ist.
Unser Leben haben wir hier bekommen und sollten es so annehmen, wie es ist und alle Umstände so akzeptieren, wie sich ergeben. Und wenn sie nicht gut sind, müssen wir sie ertragen. Die Wahrheit über uns herauszufinden, Klarheit zu erreichen, das ist die Aufgabe des Menschen. Dabei ist wichtig uns ständig mitzuteilen, nicht nur durch Sprache, denn die Wahrheit verändert sich ständig.“
Kyoto im Herbst ist voller Touristen aus aller Welt. Die Hotels sind ausgebucht, die Preise wurden entsprechend angehoben. Dennoch, Kyoto ist eine Reise wert.