Japan nach dem Tsunami vom 11. März 2011 (Teil 3)
Nach dem Besuch des Mausoleums des Fürsten Date wurde es ernst. Mit dem Hotel Bus des Kanyo Hotels (Ryokan) Minamisanriku http://www.japanican.com/hotels/shisetsudetail.aspx?st=2454001 ging es an die pazifische Küste. Das Hotel war vor etwa zwei Jahren noch bis zur zweiten Etage vom Tsunami durchspült worden und diente danach als Rettungseinsatz-Zentrale für die Koordinierung und Rettung der Menschen in diesem Gebiet.
Prof. Kazuma Yamane, https://shoganai.com/wp-content/uploads/Kinderhaus-in-Ohzashi.pdf Initiator und Organisator des Kinderhaus Projektes im Fischerdorf Ohzashi, hielt am Abend einen Vortrag über die Geschehnisse des 11. März 2011 und zeigte ergreifende Videos und Aufnahmen von unmittelbar betroffenen Menschen. So konnte er uns im Originalton die junge Frau hören lassen, die im unmittelbar benachbarten Shizugawa die Bewohner des ortes vom dortigen Katastrophenzentrum aus über Lautsprecher aufgefordert hatte sich vor dem Tsunami in Sicherheit zu bringen. https://www.facebook.com/Shoganaicom. Sie selbst ging dabei in Erfüllung ihrer Pflicht unter. Ihr Körper wurde erst nach 53 Tagen geborgen. Oder, Yamane-san zeigte ein privates Video, das die Ärzte vom Dach des Shizugawa Krankenhauses aus aufgenommen hatten. Und zwar gerade in dem Augenblick als die Wassermassen heranrauschten, so dass das Krankenhaus total verwüstet zurückgelassen wurde und 74 Menschen zu Tode kamen. Eine bedrückende Einstimmung auf das, was uns am kommenden Morgen erwartet.
Aber erst einmal ein Kulturschock am Morgen. Erstmalig konnten wir im Kanyo Hotel sehen, was es heißt, wenn ein ausgebuchter Ryokan zum Frühstück lädt. Hunderte Menschen drängten sich an die Buffets und saßen danach mit ihren Tabletts dicht an dicht gedrängt an langen Tischreihen. Eins kann man sagen, es ging unglaublich ruhig und sehr zügig zu. Die Menschen in der langen Warteschlange vor der Abgabe ihrer Frühstücksbons wurden einzeln mit „Ohaiyo Gozaima~su!“ (Guten Morgen) begrüßt. Es hörte sich an als ob ein Automat seinen Text abspulte. Aber diese Organisation ließ die Warteschlange in aller kürzester Zeit am Herrn der Frühstücksbons vorbeiziehen, so dass sich die Tischreihen schnellstens auffüllen konnten. Das Nachlegen an den verschiedenen Buffets klappte so eingespielt, dass wir nirgends warten oder Neues erst nachgelegt werden musste. Bei dieser Art von Massenabfertigung im japanischen Stil, sollte allerdings jeder sein Ego zusammen mit dem Frühstücksbon abgeben haben.
Mit dem Bus fuhren wir nach Shizugawa, oder besser gesagt, was einmal Shizugawa gewesen sein musste. Wir wollten uns die Zerstörungen, die Prof. Yamane am Abend zuvor geschildert hatte, ansehen. Leere. Unser Bus hielt genau vor dem Stahlskelett des Katastrophen Zentrums (Disaster Prevention Center), als ob es sich um ein beliebtes Ausflugsziel handelte. https://shoganai.com/2013/05/500-tage-danach/#more-1004
Nur noch das Skelett des ehemaligen Katastrophenzentrums steht genauso wie ein beschädigtes, ehemaliges Bürogebäude, alles andere wurde abgerissen und auf hohen Schutthalden zusammengetragen. Bei allem Mitgefühl, die Neugier überwiegt, es wurden Fotos gerade dieses Ortes gemacht, der Tod und so viele Verluste über diese einst blühende Stadt gebracht hatte. Eine gewisse Scheu besteht hier Fotos zu machen, doch die Bevölkerung möchte sehr gerne, dass wir solche Fotos machen und die Nachricht in die Welt tragen, was hier passiert war. Unsere Neugier an der Sensation ist sogar erwünscht!
Auf der Fahrt nach Ohzashi kommen wir immer wieder an grauen Containerdörfern vorbei, in denen noch immer fast 300.000 Menschen an der Pazifikküste Tohokus untergebracht sind. Es ist für uns kaum vorstellbar, wie es in so einem Container aussieht. Aus dem Bus werden zunächst von jedem Containerdorf Fotos geschossen. Dann werden die Ansammlungen der Container, die in mehreren Reihen vorschriftsmäßig hintereinander stehen, schon fast zur Normalität. Wie wir später in einem TV Bericht hörten verlassen immer mehr Menschen diese Container, entweder haben sie ein neues Heim gefunden, oder sind aus der Gegend weggezogen. Dennoch das Provisorium der vergangenen 2 Jahre ist immer noch für so viele vom Tsunami betroffene das Zuhause.
Vor uns an der Straße taucht das Kinderhaus von Ohzashi auf. Ein domartiges, hübsches, weißes Gebäude https://shoganai.com/wp-content/uploads/Kinderhaus-in-Ohzashi.pdf umrahmt von einem Holzdeck. Im Hintergrund einige Reihen grauer Containerhäuser, in denen die Fischer von Ohzashi mit ihren Familien wohnen.
Prof. Yamane und einige Fischer empfingen uns, als Spender aus Deutschland, mit offenen Armen. Sie zeigten uns, wie sie mit unseren Geldern das Holzdeck rings um das Kinderhaus erweitert und repariert hatten und jetzt endlich eine Beleuchtung für die früh hereinbrechenden Nächte anbringen konnten. In einer Zeremonie wurde uns eine Dank Urkunde der Kinder übergeben:
Dank Urkunde
An den Lions Club in Deutschland
Sobald wir aus der Schule kommen, gehen wir jeden Tag zum Kinderhaus um dort zu spielen. Leider haben wir durch unseren vollen Einsatz im Spiel einige Stellen schon beschädigt. Dafür entschuldigen wir uns bei Ihnen. Wir sind so froh, dass wir von Ihnen aus Deutschland diese Unterstützung bekommen haben, um damit den Weg um das Haus herum fertigstellen, eine Beleuchtung anbringen sowie einige Beschädigungen ausbessern zu können. Wir sind dafür sehr dankbar. Ab jetzt wollen wir vorsichtiger mit dem Haus umgehen und nichts mehr beschädigen.
Ihnen unseren herzlichen Dank Der Ohzashi Kinder Verein.
Bei der Gelegenheit ist auch Hiroshi Abe anwesend. Er ist Mitglied im Lions Club Ishinomaki, das ist die nächst größere Stadt zu der auch Ohzashi gehört, dort zuständig für Katastrophen Einsätze in diesem Bezirk. Angeregt durch unsere Spenden aus Deutschland überwies er bei der Gelegenheit, ganz modern per Handy, den gleichen Betrag, den wir auch gespendet hatten. Yamane-san war uns deshalb noch dankbarer, denn er konnte damit seinen Fund auffüllen, der zwischenzeitlich schon wieder ausgetrocknet war. Er hat den Leuten in Ohzashi nämlich zugesagt die Kosten für die Unterhaltung des Gebäudes für 5 Jahre zu sichern und auch später die Kosten für den Abbau zu übernehmen. Eine Herkules Aufgabe, denn die Spendenbereitschaft nimmt von Tag zu Tag mehr ab. Seine Dankbarkeit ist daher sehr gut nachzuvollziehen.
Die Fischer selbst haben gerade erst ihre Geschäfte wieder aufbauen können. Sie sind fast Tag und Nacht beschäftigt wieder eine Grundlage für ihr Leben zu schaffen. In ihren schnell, aber eigentlich illegal, wieder errichteten Fabrikationshallen am Hafen führten sie uns vor, wie sie die herrlichen Seetang Produkte dort kochen und weiter verarbeiten. Wer denkt, dass Wakame (Seetang) nicht schmeckt, wurde bei der Verkostung eines Besseren belehrt. Herrlich. Happy Ohzashi!!!
Ihr Wakame ist der beste in Japan, da sie den Seetang in einer Mischung aus Salz- und Süßwasser an der Mündung des Kitakami Fluß züchten können.
Die Hafenanlagen, die durch das Erdbeben etwas mehr als 1 Meter abgesunken waren, werden zurzeit wieder auf alte Höhe aufgebaut. Diese malerische Landschaft soll in den kommenden Jahren wieder so sein, wie sie es vor der Katastrophe war. Wunderschön. Die Fabrikationshallen sind an alter Stelle am Hafen deshalb „eigentlich“ illegal wieder aufgebaut worden, da ein offizieller Plan erst noch verabschiedet werden soll, wer was wo machen darf. Aber diese Fischer nehmen das Leben selbst in die Hand. Sie schaffen Tatsachen. Sie wollen sich vom Schicksal nicht beeinträchtigen lassen. Zum Schluss zeigt der Fischer Hiroshi Abe, nicht verwandt mit dem Lions Freund Hiroshi Abe, seine Wohnung im Container. Dürfen wir? Sollen wir? Ja, er möchte zeigen, wie er wohnt, hat keine Scheu sehen zu lassen wie beengt es ist. Es ist eben so, wie es ist und so richtet er sich da ein. Vorrang hat jetzt der Wiederaufbau der Geschäfte. Jetzt begreifen unsere Freunde erst was es heißt in einem Container zu wohnen, warum das Kinderhaus als Spielplatz und Zusammenkunft so wichtig für die weitere Entwicklung der Kinder von Ohzashi ist. Durch viele Worte und Schilderungen der Verhältnisse konnte sich in Deutschland bisher niemand etwas darunter vorstellen. Jetzt schon. Wir werden herzlich verabschiedet, die Fischer können wieder ungestört durch uns ihrer Arbeit nachgehen.
Auf dem Weg nach Shiogama kommen wir dann zur ehemaligen Volksschule Ohkawa am Kitakami Fluss https://shoganai.com/wp-content/uploads/Kinderhaus-in-Ohzashi.pdf.
Zwischenzeitlich wurde auf dem Gelände der ehemaligen Volksschule ein Denkmal mit den Namen aller 70 umgekommenen und vermissten Kinder sowie der getöteten Lehrer errichtet. Der Tsunami hatte hier innerhalb einer Stunde nach dem großen Erdbeben das ganze Dorf weggerissen und war dann durch die Schule gefegt. Niemand konnte damals ahnen, dass dort 5 km von der Mündung des Flusses ins Meer entfernt ein Tsunami diesen Ausmaßes das Dort am Kitakami-gawa und diese Schule treffen konnte bzw. überhaupt bis dorthin gelangen könnte.
Am Tag unseres Besuchs fegt wieder ein eisiger Wind über die leere Fläche um die Ruine der Schule. Der Steinskulptur neben dem Eingangs-Altar „trauernde Mutter mit Kind im Arm“ hatte jemand eine Wollmütze aufgesetzt und Mutter und Kind in ein Tuch eingewickelt. https://www.facebook.com/Shoganaicom. Besser kann Trauer um diese vom Tsunami getöteten Kinder nicht dargestellt werden. … Im Bus ist es danach auf der Weiterfahrt sehr still geworden…
Beim nächsten Mal berichten wir wieder über etwas Erfreulicheres, das Blumenfest in Shiogama.
Einige der hier verwendeten Fotos sind © Prof. Kazuma Yamane, Tokyo