Denke das Undenkbare
24. April 2019 – Acht Jahre nach der Katastrophe
Inspektion im AKW Fukushima Daiichi (No.1)
Teil 2

In diesem Bericht haben wir umfassende, teilweise interaktive Informationen wie Filme, PDF etc., auch  über  Routen im AKW Daiichi sowie Fragen und Antworten von TEPCO eingebaut. Die fett markierten, roten Worte oder Stellen bitte anklicken und die Interaktion starten.

Im Fukushima Daiichi

Endlich. Wir kommen zum Kraftwerksgelände. Wir möchten vorausschicken, dass wir keine Spezialisten oder Ingenieure sind, die sich mit Atomkraftwerken auskennen. Deshalb können wir nur das wiedergeben, was wir gesehen und verstanden, bzw. dem von TEPCO übergebenen Material herausgelesen haben.

Foto : Kazuma Yamane

Was zuerst auffällt: ein modernes, großes Verwaltungsgebäude quer vor dem Eingang, weite Parkplätze. Viele Menschen und rechts hinter dem flachen, niedrigen Eingangsgebäude, in Reihen angeordnete unendliche Mengen von grauen und blauen Wassertanks.

Es ist 14:38, fast die gleiche Uhrzeit, zu der vor acht Jahren und einem Monat das Unglück begann. Wir kommen in das Eingangsgebäude, müssen längere Zeit warten bis unsere Papiere geprüft und freigegeben werden. Ziemlich geheimnisvoll werden dazu die vorbereiteten Papiere durch eine Briefkastenöffnung in ein Büro zur Bearbeitung gegeben.
Das erinnert ein wenig an die damaligen Grenzkontrollen von Westdeutschland in die DDR. Da wurden die Pässe abgegeben und durchliefen mehrere Stellen, bevor sie wieder an einem anderen Ende, dann mit Stempel versehen herausgegeben wurden.  Auch hier im engen, wuseligen Daiichi Empfang heißt es zunächst warten.

Die Gelegenheit für uns zu beobachten, wie hunderte, meist junge Mitarbeiter aus dem Inneren des Gebäudes kommen. Sie betreten eine Schleuse, in der noch einmal ihre Identität, und mögliche Kontamination geprüft werden. Sie verlassen das Gelände als ob sie eine normale Fabrik nach ihrer Schicht verlassen würden. Keine Schutzkleidung, wir sehen keine Vollmasken. Alles ist so normal. Damit geht auch unsere Anspannung zurück.

Es geht los. Unsere iPhones werden in Schließfächern weggeschlossen. Dann folgen Kontrollen wie auf den Flughäfen. Uns werden Identifikations-Umhänge ausgehändigt, mit denen wir uns in der Eingangsschleuse – jeder einzeln – als angemeldete Besucher identifizieren. Erst danach wird an diese Identifikation ein kleines Dosimeter eingeklinkt. Angezeigter Wert beim Eingang 0.00 mSV. Noch einmal eine Kontrolle. Dann geht’s in den bereitgestellten Bus. Derselbe Fahrer, der uns auch schon vom „Decommissioning Archive“ hierhergefahren hat, auch er in normaler Kleidung. Nur, der Bus ist ein anderer, ein kleinerer Bus, der uns über das AKW Gelände fahren wird.

Unsere Begleiter hatten schon am Morgen vor unserer Ankunft ein Meeting gehabt. In Papieren mit vielen roten Stempeln wird das OK unsere Route über das Gelände festgehalten und wird immer wieder von den Assistenten, angepasst an die momentane Lage, diskutiert. Wir fühlen uns dadurch sicher. Fast vergessen wir unsere anfängliche Besorgnis und Anspannung.

Also zunächst der erste Eindruck:

Foto : Kazuma Yamane

Wir tragen keinerlei Schutzbekleidung. Das hatten wir im Vorfeld so nicht erwartet. Dann die Tanklager mit den Unmengen von bis zu 13 m hohen, grauen und blauen Tanks. Teilweise sind die Tanks noch aus zusammengeschweißten Stahlplatten zusammengesetzt.  Das sind also die Tanks, die im Laufe der Jahre undicht geworden sind und durch neue, dichte Tanks ersetzt werden.

Als wir über eine kurze Wegstrecke, eine Kirschbaum Allee, fahren, berichtet uns der Leiter des „Decommissioning Archive“, dass diese Allee mit den im

Foto : Kazuma Yamane

April blühenden Kirschbäumen bei den Mitarbeitern des AKW Fukushima Daiichi besonders beliebt war. Das gesamte 3.5 km2 umfassende Gelände des AKW Daiichi muss bis zur Katastrophe gärtnerisch wundervoll angelegt worden sein. Aufgrund dessen bezeichnete man hier den erzeugten Strom mit „Green Nucelar Power“.
Wir hatten keine Zeit tief darüber nachzudenken.

Heute ist nur noch ein ganz kurzer Teil der Kirschbaum Allee erhalten geblieben. Ansonsten wurde die Erde des gesamten AKW-Geländes abgetragen und mit aufgespritztem Beton versiegelt. Das erklärt zum einen die ungeheure Anzahl der Mitarbeiter, die hier eingesetzt werden. Zum anderen, warum wir im April 2019 gefahrlos, ohne Schutzkleidung auf dem Gelände herumgefahren werden können. Das ist für uns wie ein Wunder, das hatten wir so nicht erwartet. Wir erinnern uns an unsere, vielleicht übertriebene, vorsichtige Frage nach den Jodtabletten. Denken an Chernobyl mit seinen Geisterstädten. Ein Blick auf das Dosimeter, immer noch 0,00 mSv. Ob die anderen auch hin und wieder auf ihr Dosimeter schauen und sich vergewissern, dass wir keiner Strahlengefahr ausgesetzt sind?

Hier das von TEPCO zur Verfügung gestellte Video verschiedener virtueller Touren über das AKW Gelände Fukushima No.1 (in Rot)
Fukushima Daiichi Introduction

Der zweite Eindruck:

Das Gelände ist nicht eben, wie vermutet. Zum Meer hin fällt das jetzt mit Beton befestigte Gelände ziemlich steil in einer Stufe ab. Die Reaktorblöcke 1 bis 4 sowie die dazu-gehörenden Turbinengebäude stehen also fast auf Meeres Niveau, etwa 30 m unterhalb des Wege-Niveaus der Kirschbaum Allee. Danach gibt es eine weitere, geringere Stufe hin auf das Meeresniveau. Das Gelände oberhalb der Reaktor-Ebene wurde beim Tsunami weniger in Mitleidenschaft gezogen. Gerade die niedrige Ebene mit den Reaktor- und Turbinengebäuden 1 – 4 wurde total überflutet. Der Emergency Diesel Generator konnte wegen der Zerstörungen durch den Tsunami nicht weiter genutzt werden.  Auf gleicher Ebene, aber weiter entfernt, liegen die Reaktorgebäude 5 – 6. Auch die wurden überflutet.  Aber diese beiden Reaktoren waren, wie Reaktor 4 wegen regulärer Wartungsarbeiten zum Zeitpunkt des Erdbebens und Tsunamis glücklicherweise nicht in Betrieb.

Das gesamte AKW Gelände ist auch innerhalb immer wieder mit Stacheldraht gesicherten Zäunen geschützt. Unterbrochen von bewachten, geschlossenen Durchgangs-Toren. Wir können diese Tore mit dem Bus erst nach Kontrolle unserer Begleit-Papiere durchfahren. Das sind Vorsichtsmaßnahmen, um nur befugtem Personal bzw. angemeldeten Besuchergruppen den Zugang zu gestatten.

Unser Bus fährt an einem hohen Gebäude vorbei, das als „Large Resthouse“ bezeichnet wird. Hier können Mitarbeiter ihre Ruhepausen und ihr Mittagessen einnehmen. Auch das ist zunächst befremdlich, denn wir dachten immer noch, dass Mahlzeiten auf dem Gelände einzunehmen kaum möglich wären. Unsere anfänglichen Befürchtungen weichen so langsam einer gewissen gutgläubigen Sorglosigkeit. Immer noch zeigt das Dosimeter erstaunliche 0,00 mSv.

Auge in Auge mit den Reaktor Gebäuden

Foto : TEPCO

Dann fahren wir ganz in die Nähe der Reaktorgebäude 1 bis 4. Die Gebäude liegen geschätzte 30 m unterhalb des generellen AKW Gelände Niveaus. Wir können aus dem Bus aussteigen und betreten auf Augenhöhe mit den Gebäuden eine für Besucher vorbereitete Terrasse.
Wir sind jetzt nur etwa 50 m von der R (Red) Zone entfernt. Das also sind die Gebäude mit den Sicherheitsbehältern, von denen die Welt spricht, wo der GAU stattgefunden hat, und vor deren Reaktorinhalt sich die Welt fürchtet. Uns kommt es vor, als hätten wir in diesem Moment einen Berg bestiegen und stünden jetzt auf dem Gipfel. Hier stehen wir am Ziel unserer Inspektionsreise. Es ist etwas gespenstisch.
Wieder steigen Bilder der Wasserstoffexplosionen im März 2011 auf, hier sehen wir jetzt diese Gebäude, immer noch hängen Fetzen von abgerissenen Planen an einigen Teilen herunter. Dazwischen stehen Kräne, es sieht nach Abriss, und bei den Reaktorgebäuden 3 und 4 sogar fast nach Aufbau aus.

Nach wie vor befinden sich in den Obergeschossen der Gebäude abgebrannte und neu-wertige Brennstäbe in den Abklingbecken. Im Unit 1 lagern noch 392, im Unit 2 615 und im Unit 3 noch 566 Stück. Dazu gibt es unten, in den eigentlichen Reaktor-Druckbehältern, die zu „Fuel Debris“, geschmolzenen Brennstäbe. Das ist das große, nuklear strahlende  Problem im Fukushima Daiichi.
Da der Reaktor 4 schon vor dem Unglück im März 2011 wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet worden war, gibt es hier weniger Probleme. Die 1535 dort gelagerten Brennstäbe wurden bereits im Dezember 2014 entfernt und in Abklingbecken an sicherer Stelle auf dem AKW verbracht. Wir versuchen die Bilder in uns aufzusaugen, hoffen dass Yamane-san genügend Fotos schießt, um uns später verlorengegangene Details wieder ins Gedächtnis rufen zu können.

Wir stehen neben einer der 88 auf dem Gelände verteilten, mobilen, solarbetriebenen Dosimeter Messstation. Sie zeigen die an diesem Ort gemessene Strahlenbelastung in Echtzeit an. Im Angesicht der Reaktorgebäude: 77µSv. Jetzt doch etwas besorgt schauen wir, ob unsere Begleiter auch mal einen verstohlenen Blick auf ihre Dosimeter werfen. Doch die sind alle damit beschäftigt, die Bilder der Gebäude in sich aufzunehmen. Da auch im Bus zusätzlich mit einem professionellen Hand-Dosimeter die Belastung gemessen wird kommt aber schnell wieder das Gefühl der fürsorglichen Sicherheit auf – man wird uns bestimmt keiner extremen und gefährlichen Strahlenbelastung aussetzen. Als wir uns dann wegen der hohen Belastung draußen vor den Gebäuden 1 – 4 nur eine kurze Zeit aufhalten dürfen und ein prüfender Blick auf unseren umgehängten Dosimeter uns anzeigt, dass wir bisher akkumuliert einer 0,00 mSv Strahlenbelastung ausgesetzt waren, kehrt wieder das Gefühl der ungläubigen Sicherheit bei uns ein.

Vom Anblick der vier Reaktorgebäude sind wir tief beeindruckt. Es ist immer noch unfassbar für uns, dass wir uns ungeschützt so nah am Kern der nuklearen Katastrophe bewegen können. Jeder von uns ist in Gedanken versunken, wir hören die Erklärungen unser Begleiter.
Werden sie jemals die „heißen Reaktoren“ unter Kontrolle bringen?
Wie lange wird das dauern?
Wie viel Geld wird das kosten?
Ist weiterhin Menschenleben in Gefahr?
Solche Fragen gehen uns beim Anblick der Gebäude durch den Kopf.

Foto : Kazuma Yamane

An Reaktorgebäuden 1 – 3 erinnern wir uns dabei auch wieder, dass kurz nach dem Tsunami im März 2011 eine Wasserstoffexplosion die Gebäude zu einem großen Teil zerstört hatte. Der dadurch entstandene, immer noch in den Gebäuden lagernde Schutt verhindert jetzt die schnelle Bergung der Brennstäbe aus den Abklingbecken. Damals war Radioaktivität ausgetreten, heute ist die Belastung rund um die Gebäudeteile 1 – 3 hier immer noch am höchsten.

 

Was passiert in den Gebäuden 1 – 3?

Foto : Kazuma Yamane

Rechts und links des Gebäudes 1 sind jetzt zur Stabilisierung Wände hochgezogen worden. Der bei der Explosion entstandene Schutt auf der Etage über den Abklingbecken mit 393 neuen und verbrauchten Brennstäben wird zurzeit entfernt. Damit kann erst eine stabile Arbeits-Plattform für die Spezialkonstruktion von Bergungs- und Transportkränen geschaffen werden. Der eigentliche Reaktor mit seiner Stahlhülle liegt für uns nicht sichtbar innerhalb der Betonkonstruktion.

Foto : Kazuma Yamane

Zwischen den Gebäuden 1, 2 und 3 überragen zwei 120 Meter hohen Abgastürme das gesamte Gelände. Hier sehen wir auch den ersten ABLE Roboter, der in wenigen Tagen zum Abbau dieser beiden Türme eingesetzt werden wird. Der dritte Turm am Gebäude 4 scheint nicht kontaminiert zu sein. Er soll zunächst so stehen bleiben.

Am Gebäude 2 wurde an der Vorderseite eine stabile, wuchtige Stahlterrasse angebaut, sie dient zur besseren Untersuchung aller Gebäudeteile. Erst danach kann mit der Konstruktion der Krananlage für die Bergung und dem Transport der verbliebenen 615 neuen und verbrauchten Brennstäbe von der oberen Arbeitsebene aus begonnen werden.

Oben auf dem Gebäude 3, auf der obersten Arbeitsebene rechts, ist bereits eine überdachte Arbeitsplattform, eine Art längliche Domkuppel, fertiggestellt worden.

Unter dieser Kuppel wurde die Krananlage für die Bergung der dort verbliebenen 566 Brennstäbe aufgebaut.

Foto : Kazuma Yamane

Am 16 April 2019 begann die Bergung der ersten 6 nicht verbrauchten Brennstäbe aus dem Abklingbecken. Geplant ist im Gebäude 3 die Arbeiten bis Ende 2020 beenden zu können.

Gebäude 4 ist mit einem Cover teilweise abgedeckt, es diente zur Sicherheit der 2014 abgeschlossenen Bergung der dort gelagerten 1.535 Brennstäbe.

Zur Information: Das „Fuel Debris“, die geschmolzenen, stark strahlenden Brennstäbe am Boden der Reaktoren wurde von TEPCO bereits untersucht.
Im Reaktor 1 wurde geschmolzenes Brennstoff-Material am Boden sowie in den Rohrleitungen gefunden. Ebenfalls im Reaktor 2. Dort gibt es eine Möglichkeit bald das „heiße“ Material mit Robotern zu bergen. Im Reaktor 3 wurde ebenfalls mit Metall verschmolzenes, Material gefunden.
Die Bergung steht hier jedoch noch aus.

Dekontaminierung des Kühlwassers

In die mit Stahl umhüllten Reaktoren 1 – 3 muss fortlaufend Kühlwasser eingespritzt werden, das gleiche gilt für die Abklingbecken, auch sie müssen laufend mit Wasser aufgefüllt werden. Das verbrauchte, kontaminierte Kühlwasser wird dazu noch mit in die Gebäude hineinlaufendem Grundwasser vermischt. Dieses Wassergemisch muss aufwändig dekontaminiert werden, das bedeutet Reduzierung der Multi-Nuklide wie Cäsium und Strontium – schwierig ist hierbei allerdings das auch im Wasser enthaltene Tritium zu entfernen. Zwischen dem Prozess ist noch eine Salzwasser Aufbereitungsanlage geschaltet. Erst danach wird das Restwasser in den ungezählten Tanks auf dem Gelände gelagert.

Diese Dekontaminierung des Wassers geschieht in den mit ALPS bezeichneten Einrichtungen auf dem Gelände.  Das abgepumpte Kühlwassergemisch aus den Reaktorgebäuden wird hier aufwändig gefiltert und gereinigt. Soweit wir verstanden haben sollen täglich etwa 2.000 t Wasser aufbereitet werden. Das Tritium wird in gesonderten Anlagen bearbeitet, inwieweit das erfolgreich ist, konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Als wir an den „ALPS“ Gebäuden, in denen dieser langwierige, aufwändige Prozess stattfindet, später vorbeifahren, wurde uns klar wofür die ungeheure Anzahl der Wassertanks auf dem Gelände dienen

Wasser-Management

Überhaupt ist das Kühlwasser und das in die Gebäude eindringende Grundwasser ein großes Problem, das auf dem Gelände angegangen werden muss.  Über die Reinigung haben wir berichtet. Eindringendes Grundwasser muss schon vorab so weit isoliert werden, dass es sich nicht mit dem kontaminierten Wasser in den Gebäuden vermischen kann. Dazu wird das Grundwasser permanent an verschiedenen Stellen abgepumpt. Außerdem wurde ein auf minus 30°C gekühlter, sogenannter Frozen-Soil-Wall, rund um die Gebäude gelegt.

Eine für Wasser undurchdringbare, tiefgefrorene Sperre, die verhindert, dass das Grundwasser in die Gebäude 1 bis 4 laufen und sich dort vermischen kann. Hinter den Gebäuden zur Meerseite hin wird ebenfalls permanent Wasser abgepumpt. Der pazifische Ozean wird zusätzlich durch einen weiteren, undurchdringlichen „Frozen-Soil-Wall“ vor Wassereinleitung geschützt. Anhand des uns von TEPCO übergebenen Informationsmaterials lernen wir, dass rings um das AKW die Konzentration des Meerwassers mit radioaktiven Substanzen stark gefallen ist. Etwa auf 1/1.000.000 im Vergleich zur Zeit kurz nach der Katastrophe.  Diese heutigen Konzentrationen liegen unterhalb der WHO Richtlinien für Trinkwasser. Die Atomic-Energy-Agency (IAEA) hat die Meerwasser Umwelt hier als stabil bezeichnet. Wenn wir das lesen denken wir an unsere Freunde, die Fischer von Ohzashi, die ihre Jakobsmuscheln und Algenprodukte wieder japanweit verkaufen und sogar in asiatische Länder exportieren können.

Der Bus von ABLE

Foto : TEPCO

Fast versteckt etwas entfernt von den Reaktorgebäuden kommen wir an dem grauen Omnibus von ABLE vorbei. Er fällt sofort ins Auge, er ist von den Kindern der ABLE Mitarbeiter bemalt worden. Von hier aus werden in den kommenden Tagen und Wochen die Abbau-Roboter für die beiden Abgastürme über die vielen Sensoren und Kameras ferngesteuert werden.

Auf unserer weiteren Inspektionsfahrt über das AKW Gelände kommen wir, nachdem wir die Gebäude 1 bis 4 auch von der Meerseite passiert haben, an den Stellen vorbei, die vom Tsunami total verwüstet worden waren.

Foto : Kazuma Yamane

Eine Markierung zeigt an wie hoch der Tsunami zugeschlagen hatte. Verbogene Eisenkonstruktionen zeugen noch heute von der Wucht des einströmenden Wassers. Hier hatten auch die Notstromaggregate gestanden …

Eine Frage, die uns berührte war, wie denn der
radioaktiv kontaminierte Abfall beseitigt wird.
Dazu kamen wir an entsprechenden Zwischenlagerstätten sowie Verbrennungsanlagen vorbei. Es sollen weitere Einrichtungen auf dem Gelände des AKW geschaffen werden, um innerhalb der kommenden 10 Jahre solche feste Materialien auf ein Drittel durch Verbrennen zu reduzieren. Kontaminierte, schwach strahlende Erde, die durch das Abtragen der oberen Erdschichten entsteht, sollen auf dem Gelände weit ab der Gebäude
5 und 6 ebenfalls zwischengelagert werden.

Fast am Ende unserer Fahrt kommen wir an einem Gebiet außerhalb des AKW Geländes vorbei. Hier wurde bereits ein weites, hügeliges Waldgebiet abgeholzt. Die Baumstämme in handlichen Stücken sind überall aufgestapelt. Dort wird Raum für weitere Lagerflächen in riesigem Ausmaß geschaffen. Das hätte bei uns in Deutschland zu Aufständen geführt, hier ist es eine Notwenigkeit für die kommenden Jahrzehnte.

Die zum AKW gehörenden Hafenanlagen wurden durch das Erdbeben im März 2011 zerstört. Sie sind heute wiederaufgebaut, es liegen Schiffe dort, es sieht eigentlich wie eine normale Kaianlage aus.
Je weiter wir uns von den Reaktorgebäuden entfernen,  desto eher fühlen wir uns sicherer.

Strahlenbelastung

Dem TEPCO Info Material hatten wir entnommen, dass wir während unserer Inspektions-Reise einer maximalen Strahlenbelastung von 0,1 mSv ausgesetzt sein werden, das entspricht einer Belastung ähnlich einer Flugreise Tokyo – New York –Tokyo.

Bei uns herrscht jetzt Verwirrung über die Maßeinheit der Strahlenbelastung, der wir während unseres Besuchs im AKW Fukushima Daiichi ausgesetzt sein werden. Die wird in der Einheit Sievert (Sv) gemessen .
Die Maßeinheiten Mikro Sievert (µSv) und Milli Sievert (mSv) gehen bei uns ganz schön durcheinander, sind aber die Grundlage für unsere innere Einstellung ob wir unsere Inspektionsreise mit Ängsten oder furchtlos durchführen können.

Unsere Recherchen über Strahlenbelastungen haben ergeben, dass wir zum Beispiel in Deutschland pro Jahr einer mittlerne Belastung von etwa 2,1 mSv, das entspricht 2.100 µSv, ausgesetzt sind

Foto : Kazuma Yamane

Wir sind bei unserer Rundfahrt über das Gelände immer noch so eingestellt, dass wir an einigen Stellen mit sehr hohen Strahlenbelastungen rechnen. Nur wenige Meter entfernt von den Reaktorgebäuden können uns einfach nicht vorstellen, dass dort nur 77,6 µSv/h gemessen werden, wir notieren also aufgrund unserer Voreinstellung 77,6 mSv/h, denn was nicht sein kann, das nicht sein darf. Das Bild des Handheld-Dosimeters zeigt allerdings ganz deutlich, dass dort die Belastung 77,6 µSv beträgt. Später, für diesen Bericht, klären wir das noch einmal ab. Tatsächlich, an der Stelle der größten Strahlung während unserer Fahrt beträgt die Belastung 77,6 µSv/h, nicht wie angenommen 77,6 mSv/h. Das ist ein Tausendstel weniger als wir uns in diesem Moment vorstellen können, es entspricht 0,0776 mSv/h.

Als wir mit dem Bus nach 90 Minuten vom AKW Gelände zurück zum Eingangsgebäude gefahren werden, überprüfen wir dort unsere persönlichen Dosimeter: 0,01 mSv. Jeder von uns war bei der 90 minütigen Rundfahrt auf dem Gelände also lediglich einer Strahlenbelastung, vergleichbar einer Röntgenaufnahme unserer Zähne, ausgesetzt.  Wir fühlen uns jetzt ganz sicher. Untereinander beginnen wir wieder zu scherzen,  wird sind erleichtert.

Foto : Kazuma Yamane

Prof. Yamane`s Dosimeter zeigt allerdings 0,02 mSv an. Klar, er wagte sich als „Fotograf“ über einen längeren Zeitraum als der Rest der Gruppe auf die Terrasse direkt gegenüber den Reaktor-Gebäuden 1 bis 3, in deren Reaktoren immer noch das „heiße“ Fuel Debris“ eingeschlossen ist.  Er setzte sich dort länger als wir der hohen Belastung von 77,6 µSv/h aus, musste sogar noch von den TEPCO Leuten zurückgerufen werden. Dennoch war auch seine Belastung nach der 90 minütigen Rundfahrt immer noch im niedrigen Bereich von 0,02mSv. Nachdem Yamane-san wieder zu Hause war, so berichtet er uns, habe er in seinem Haus eine Kontrollmessung mit einem Profimessgerät vorgenommen. Das Ergebnis 0,06 mSv/h, also höher als auf dem Gelände des AKW Fukushima Daiichi nach unserem 90 Minütigen Aufenthalt.

Das Ende der Inspektionsreise

Wir werden vom Bus nach 90 Minuten zurueck zum Eingangsgebaeude gefahren.
Zwei Mitarbeiter der TEPCO Security prüfen dann noch jedes einzelne von Prof. Yamane geschossene Foto, nach Vergrößerung und Diskussion über einzelne Bilder wird die Freigabe erteilt.

Zu unserer Gruppe stößt jetzt auch der Presse Chef des Daiichi. Er bedankt sich für unseren Besuch, und dass wir das, was wir dort gesehen haben, in die Welt tragen können.

Wieder gehen wir durch eine Schleuse. Zum letzten Mal werden wir unsere Identifikation prüfen lassen, müssen beide Hände tief in dafür vorgesehene Schlitze zur Prüfung von möglicher Kontamination stecken. Dann öffnet sich das Gitter, unsere Inspektionsreise im Fukushima Daiichi Kraftwerk ist damit beendet.

Vor dem Eingang stehen zwei batteriebetriebene Elektro-Busse. Noch ein Foto unserer Gruppe, danach fahren wir mit dem Bus zurück zum „Decommissioning Archiv“ um dort unser Auto von ABLE für die Rückfahrt nach Hirono zu besteigen.

Auf unsere Fragen nach der Dauer des Abrisses und Rückbau des Fukushima Daiichi AKWs, erhielten wir die Antwort: „ca. 30 bis 40 Jahre“. Außerdem soll in den kommenden Jahren entschieden werden was mit dem Gelände nach vollkommener Dekontamination und Rückbau der Reaktoren geschehen soll. Das ist bis heute ungewiss. Die heutige Generation der Ingenieure und Techniker wird dann nicht mehr dort arbeiten, eine oder gar zwei Generationen müssen trainiert, eingeschult und ständig weiter eingearbeitet werden.
Eine Mammut Aufgabe nicht allein für die Rettung Japans, sondern auch zum späteren Nutzen für die Welt.
Prof. Yamane wird nur einen Tag später eine Rede zum 60. Jahrestag der „Japan Atomic Energy Society“ unter der Überschrift: „Atomkraft nach der zweiten Niederlage Japans“ halten. Die erste Niederlage, das waren die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945. Als zweite Niederlage bezeichnet er die Atomkatastrophe vom März 2011 für die friedliche Nutzung der Kernenergie.

Er denkt, dass aus der Katastrophe heraus jetzt in Japan neue Technologien kreativ entwickelt werden, die die Menschheit besser schützen wird, aber auch Technologien zum Abbau von Atomanlagen wie sie ABLE Co., Ltd. in Hirono entwickelt und im Daiichi einsetzt.

Die Botschaft

Während der Fahrt haben wir eine letzte Frage an den Leiter des Archives:

„Welche Botschaft können Sie uns heute mitgeben, die wir unseren Freunden, Lesern unseres Shoganai Blogs und der interessierten Welt mitteilen können?“

Seine Antwort:

„Wir haben alle möglichen Szenarien vor dem Bau des Kraftwerks durchgespielt, haben alle technischen Vorkehrungen für mögliche, auch größere Störfälle getroffen. Wir alle waren davon überzeugt, dass wir technisch alles im Griff haben und alles getan haben, um einen ungestörten Ablauf des Kraftwerks ohne jegliche Katastrophen durchführen zu können.
Unsere feste Überzeugung unserer technischen Überlegenheit hat unser Denken blockiert.
Wir konnten uns deshalb darüber hinaus nicht vorstellen welche weiteren Risikomaßnahmen noch notwendig sein könnten, dass wir etwas vorab nicht durchdacht hatten. Es war alles so perfekt.

Diese Blockade hat zur Katastrophe vom 11. März 2011 geführt.“

Wir haben seine Aussage danach etwas verkürzt:

„Denke das Undenkbare“

Hier der Link:
Details, weitere Fotos und Informationen sowie Fragen und Antworten von TEPCO