Teil 3
400 Jahre unentdeckt – Asakura Ichijodani – Das Pompeij Japans

Über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren bauten fünf Generationen der Fürsten Asakura in der heutigen Präfektur Fukui (damals Echizen Provinz) eine friedlich blühende Heimat für 10.000 Menschen im Tal des Ichijo Flusses auf. Der bildete ein fruchtbares Tal, das sich bis in die teilweise schneebedeckten Berge hinzieht und mündet hier im Dorf Ichijodani in den größeren Asuwa Fluss. Das kleine Städtchen profitierte vor 500 Jahren von seiner idealen Lage nahe zu den Häfen am japanischen Meer und dem Transportweg der Schiffsladungen aus dem Norden Japans nach Kyoto. Der Handel blühte und zog Kaufleute und Handwerker an. Der Asakura-Klan beschützte die Bewohner mit ihren Samurai Kriegern, sodass sich in dieser friedlichen Umwelt eine einmalige Kultur entwickeln konnte und Ichijodani zum glamourösen, kleinen Kyoto aufblühte.

Im Jahr 1573 war es mit dem Frieden vorbei. Drei Tage und drei Nächte wüteten und brandschatzten die Truppen von Oda Nobunaga, die Ichijodani Siedlung, um sie verkohlt zurückzulassen. Nobunaga war einer der mächtigsten Feldherren seiner Zeit, der Japan unter dem Motto: ‚Beherrsche das Reich durch Gewalt‘, einigen wollte. Wer sich widersetzte oder sich ihm nicht anschloss wurde vernichtet. Die Asakura Familie gehörte dazu, sie verlor die Schlacht, wurde aufgerieben und mit ihr die Soldaten und Bewohner dieser blühenden Gemeinschaft. Der Nachfolger der Asakura Fürsten gründete in einer anderen Gegend seinenneuen Sitz. Über den verkohlten Resten des Schlosses, den Holzbauten der Asakura Residenz und den Häusern der Bewohner, Handwerker und Samurai Soldaten breitete sich über 450 Jahre ein Tuch der Vergessenheit aus. Ichijodani fiel in unberührten Tiefschlaf – unter Wiesen und später unter landwirtschaftlichen Nutzflächen. Zedernwälder an steilen Berghängen bedeckten das Elend.

Und dann gab es einen glücklichen Zufall:

Reis ist Japans Grundnahrungsmittel und bedarf daher besonderer Pflege und ständiger Weiterentwicklung. Als in Japan die Preise für Reis jährlich anstiegen, wurde im Jahr 1966 in einem landesweiten Aufruf zur Bodenverbesserung der landwirtschaftlichen Flächen aufgerufen. Auch im Ichijo-Gebiet, wo in der Zwischenzeit die Landwirtschaft zur Grundlage des Lebens wurde, begannen großangelegte Bauarbeiten mit schwerem Gerät. Durch die Arbeiten kamen immer mehr Ausgrabungsgegenstände und Überreste der alten Stadt zu Vorschein, das Tuch der Vergessenheit über Ichijodani wurde damit weggezogen. Ab 1967 beschloss der Kulturausschuss in den nächsten 120 Jahren Ausgrabungen an der Stätte des Asakura-Clans durchzuführen. Allen Ortsansässigen, ob jung oder alt, männlich oder weiblich, wurde ein Angebot zum Mitmachen unterbreitet. Die Landwirte sollten ein Gehalt beziehen, das über dem Gegenwert der Menge an Reis lag, die sie in einem Jahr verdienen können. Der Beginn der spannendsten Ausgrabungen in Japan.

Vor einigen Jahren waren wir schon einmal hier. Damals konnten wir Ausgrabungsarbeiten sehen, ein für uns noch unübersichtliches Gelände von riesigem Ausmaß, das sich in Nord-Süd-Richtung über 1,7 km erstreckt und eine Fläche von 278 ha bedeckt.

Im November 2023 haben wir Ichijodani wieder besucht, um die Fortschritte der Ausgrabungen und das erst im vergangenen Jahr eröffnete Asakura Family Site Museum zu besichtigen. Es war kalt, dazu wehte ein stürmischer Wind und Regen peitschte in Böen über die Ausgrabungsstätten. Eigentlich keine guten Bedingungen für den Besuch dieser weitläufigen Ausgrabungsstätte.

Doch, wir sind erstaunt und begeistert zugleich, was mit der Aufarbeitung von 450 Jahren in diesem Tal in der Zwischenzeit geschehen ist: Auf den originalen Orten und unter Verwendung alter Steine und Baumaterialien wurde unter anderem eine verwinkelte 200 meterlange Dorfstraße der früheren Asakura-Samurai, Handwerker, Händler und Dorfleute nachgebildet, über die wir in die alten Häuser der Bewohner eintreten können. Jenseits des Asuwa Flusses wurden Steingärten, zur damaligen Zeit eigentlich nur in Kyoto zu bewundern, ausgegraben, die uns einen Einblick in die hohe Kultur in der Asakura Zeit geben. Die Ausmaße der Residenz der Asakura Fürsten geben uns einen Überblick, wie die Menschen dort in der Nähe ihrer Obrigkeit gelebt haben.

1971 wurden dann endlich Teile der Anlage zum ‚Spezial Historischen Ort‘ erklärt. Zwanzig Jahre später vier ausgegrabene Gartenanlagen als ‚Landschaftlich Reizvoll‘ bezeichnet und erst im Jahr 2007 wurde das gesamte Ichijodani Tal mit seinen Ausgrabungen zum ‚japanischen Kulturgut‘ erklärt. Es steht damit auf der gleichen Stufe wie der Goldene und Silberne Pavillon in Kyoto sowie der Itsukushima Shrine in Hiroshima. Eine besondere Auszeichnung, die den Stellenwert für die japanische Kultur herausstellt. Bei der Begehung der Ausgrabungen hatten wir das Gefühl das japanische Pompeij zu betreten: Zerstört, vergessen, wieder ausgegraben und zum Anziehungspunkt geworden.

All dies vorausgeschickt, waren wir gespannt, was uns nach so vielen Jahren noch erwartete.

Das Museum 

Was wir in Japan immer wieder bewundern, sind die Museen. Hier wird an nichts gespart, es sind keine reinen Ausstellungen, sondern Werkstätten zugleich. Das trifft auch auf das Asakura Family Site Museum zu, gerade vor einem Jahr eröffnet. Von außen schon können wir sehen, ein bedeutender Architekt hat diese Bauten entworfen. Dunkelgraue, schnörkellose Fassaden und Dächer, viel Glas – dieses Gebäude hebt sich von der umgebenden Landschaft ab. Im Inneren wird es umwerfend. Dieses Museum wurden über dem ausgetrockneten Flussbett errichtet, über das bis vor 450 Jahren noch Güter transportiert wurden. Eine einmalige Darstellung, vergleichbar mit dem Dionysos Mosaik im Römisch Germanischen Museum in Köln. In typisch japanischem, hellem Zedernholz ist die Residenz des Fürsten Asakura im Gebäude in Originalgröße nachgebildet. Sie gibt uns einen Eindruck von der Schlichtheit, aber auch der hohen Gabe Kunst und Gartenbau schon vor so vielen Jahrhunderten zusammenzubringen. Ein Gartenbeet trennte das Volk und den Fürsten. Auf der einen Seite das Volk, jenseits des Gartenbeets der Fürst. Wir können uns genau vorstellen, wie solche Zusammenkünfte verlaufen sind.

©Kazuma Yamane

Die 1,7 Millionen ausgegrabenen, gut erhaltenen Gerätschaften, Werkzeuge, Waffen, Gebrauchsgegenstände, Rüstungen, alten Dokumente, Münzen und Kunstgegenstände sowie der Miniaturnachbau der Ortschaft geben uns einen Einblick in den reichen Alltag, auch des kulturellen Lebens der Bewohner von Ichijodani. Wir sind begeistert.

Wohnbezirk der Samurai

©Kazuma Yamane

Nicht weit entfernt vom Museum, nach Passage der früheren Eingangsmauern von Ichijodani, wurde eine Dorfstraße im Original nachgebaut. Die Oberklasse der Samurai Krieger lebte rechts der Straße, sie bewohnten größere Grundstücke, die Mittelklasse Samurais, die Händler, Handwerker und normale Bewohner lebten auf entsprechend kleinen Grundstücken und Häusern links der Dorfstraße. Jedes Haus verfügte über einen Brunnen und eine Toilette. Eine zweimeterfünfzig hohe Mauer aus ockerfarbenem Lehm umgibt die Grundstücke zur Straße. Das Fundament besteht aus den Originalsteinen, die hier an Ort und Stelle ausgegraben wurden. Die gepflasterte Dorfstraße verläuft im Zick Zack, um möglichen Feinden den Einblick um die nächste Ecke zu verwehren. Es hat, wie wir heute wissen nichts genutzt, Oda Nobunaga hat trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen alles niederbrennen lassen.

©Kazuma Yamane

Das gesamte Ichijodani Gelände ist weitläufig, noch ist der Großteil nicht ausgegraben, unter Erde, Wiesen und Wäldern warten weitere unberührte Überraschungen auf den Besucher und es verbirgt sich bestimmt noch manches Geheimnis: Dieser Ort ist zum Anziehungspunkt in Japan geworden, wie Pompeij in Italien. Eventuell wird Ichijodani sogar in die Liste der japanischen Weltkulturerben aufgenommen, denn hier geht es nicht nur um ein einzelnes Bauwerk, wie ein Schloss oder einen Tempel, in Ichijodani geht es um das Gesamtbild des mittelalterlichen Lebens in Japan, das hier 450 Jahre lang unberührt für die Nachwelt erhalten blieb.

Wir werden wiederkommen und uns von den weiteren Fortschritten überraschen lassen und danach berichten.