Teil 1 – Iwase City
Lange haben wir nichts mehr von uns hören lassen. Wir sind nicht in Tiefschlaf verfallen, auch wollen wir unsere Reisen in Japan nicht alleine genießen. Nein, Frank liegt in den letzten, oder besser gesagt, vorletzten Zügen, in der zeitaufwändigen Phase der Überarbeitung seinen ersten Roman zu vollenden. Eine Gemeinschaftsarbeit mit seiner Lektorin und Lehrerin. Noch hat sein Roman keinen Titel. Doch so viel dürfen wir verraten: Es wird ein deutsch-japanischer Wirtschaftskrimi aus dem Jahr 1979, als Japan begann zur weltweit gefürchteten Wirtschaftsmacht aufzusteigen. Der Düsseldorfer Marco Weiter, von seinen Freunden nur ‚Polo‘ genannt, erleidet in diesem aufstrebenden Japan geschäftlichen Schiffbruch… Mehr dazu dann nach der Überarbeitung.
Doch heute möchten wir euch unsere Eindrücke von unserer Reise in die Präfektur Toyama, auf der japanischen Meerseite, vom 18. bis 21. Oktober 2023 schildern.
Der Flug von Tokyo/Haneda nach Toyama City ist kurz. Wir haben uns gerade erst angeschnallt und überfliegen in nur 6.000 Metern Höhe die Megalopolis Tokyo mit dem alles überragenden Skytree. Wir schauen auf den Fuji-Yama in seiner vollen Schönheit und können die teilweise schneebedeckten japanischen Alpen und die Städte zwischen den Bergen unter uns klar und ganz deutlich ausmachen. Und schon leuchten nach 45-minütigem Flug die Anschnallzeichen für den Landeanflug auf.
Um 9:35 Uhr landen wir in Toyama, einem Flughafen der kurzen Wege. So gibt es nur ein Kofferband, auf dem eine Holzpalette mit übergroßen Sushis kreist. Wir ahnen es schon: hier gibt es hauptsächlich Fischgerichte.
Bei Toyota Rent-a-car erwartet uns eine Überraschung. „Wir haben für Sie einen Siebensitzer Wagon vorbereitet“, weist der Mitarbeiter stolz auf einen weißen Wagen. „Was sollen wir denn damit anfangen“, fragen wir. Ohne Antwort werden wir zum Fahrzeug geführt. Es ist dann doch nicht so groß, wie als Siebensitzer befürchtet. Der ‚Toyota Sentia‘ hat zu Lasten des Kofferraums halt sieben Sitze eingebaut. Unseren Koffer quetschen wir hinter die letzte Sitzreihe, so lässt sich die Kofferklappe noch gut schließen. Zu unserem Erstaunen, fährt sich der Sentia sehr gut.
Check-In in unser Hotel in Takaoka ist erst um 15:00 Uhr, wir haben also jede Menge Zeit für Besichtigungen von Toyama-City und Umgebung. Unser erstes Ziel ist die kleine Hafenstadt Iwase am japanischem Meer. Wir wollen die alte Stadt erkunden und herausfinden warum dieses Städtchen vor ein paar Jahrhunderten bis Anfang des 20. Jahrhunderts zu so großem Reichtum gekommen ist, der sich sogar bis nach Tokyo (damals noch Edo) herumgesprochen hat.
Auf den Straßen ist nichts los, unerwartet und wohltuend. Was auffällt sind rostbräunliche Einfärbungen und Sprühköpfe im Abstand von wenigen Metern in der Mitte aller Straßen. „Warum sind die Strassen mit solchen rostfarbenen Fahnen verunstaltetet? Gibt es hier so viele Wellblechdächer“, fragen wir uns. „Oder werden hier Chemikalien im Winter gegen die Schneemassen versprüht?“
Nach nur 30-minütiger Fahrt über weite Felder und unbewohnte Landstriche kommen wir in Iwase an und parken neben einem hohen, alten Holzbau der Familie Baba. Der Gebäudekomplex wurde voll restauriert, heute befindet sich im hinteren Teil eine kleine Craft-Bier Brauerei mit Ausschank, dazu werden Kleinigkeiten zum Bier angeboten, die eher an einen deutschen Landgasthof erinnern, es gibt zum Beispiel: Würstchen mit Sauerkraut und Senf. Schmeckt auch wie in Bayern.
Über einen Durchgang gelangen wir in das Hauptwohn- und Geschäftshaus der Familie Baba, heute ist es ein Museum, das uns zeigt, wie feudal die Kaufleute früher gelebt und gewohnt haben.
Und wie sind sie damals reich geworden? Die Aufklärung wird in diesem Haus auch sofort mitgeliefert. Durch Transport und Handel. Vom Iwase Hafen segelten in der guten alten Zeit Handelsschiffe, die sogenannten Kitamaebune, von Osaka bis nach Hokkaido und transportierten Waren jeglicher Art. Es muss ein sehr einträgliches Geschäft gewesen sein, denn über Land gab es weder eine entsprechende Infrastruktur noch zum Transport geeignete Fahrzeuge. Neben der Schifffahrt blühte der Handel und damit der Reichtum, das können wir an den wunderbaren Häusern der alten Hauptstraße erkennen. Doch mit der aufkommenden Industrialisierung Japans trat das Transportgeschäft per Schiff immer weiter in den Hintergrund. Gleichzeitig verlagerte sich Handel und Industrie immer mehr an die Pazifikseite der japanischen Hauptinsel Honshu. Die kleine Stadt Iwase geriet in den Strudel der Vergessenheit.
Durch ein umfängliches Revitalisierungsprogramm der Präfektur mit Unterstützung der bekannten Sake Brauerei Masudashuzo (bekannt durch den Sake Markennamen Masuizumi) im Jahr 2004, bewundern wir heute auf der alten Hauptstraße die traditionellen Holzhäuser. So können wir in einem aufwändig restaurierten Haus eines weiteren reichen Kaufmanns in der Gartenanlage einem Künstler bei seiner Arbeit über die Schulter schauen, in einem anderen Teil des Gebäudes werden Keramiken und bunte Gläser ausgestellt und zum Kauf angeboten, die in der Toyama Präfektur von Künstlern hergestellt werden. In einem modernen, italienischen Restaurant wird ein besonderes Menü mit dem hiesigen feinen Sake angeboten: So etwas gibt es nicht mal in Yokohama und weiße Tischdecken haben wir hier auch nicht erwartet.
Der Straßenzug gibt uns einen Eindruck der blühenden Vergangenheit von Iwase und dem sichtbaren, heutigen Bemühen diesen Ort nicht abzuschreiben. Sehr gut gelungen, finden wir. Und das nur einen Stunde per Flugzeug entfernt von Haneda.
Obwohl Iwase direkt am Meer liegt, und der Fluß Jintsugawa schiffbar war, wurde vor 120 Jahren von holländischen Ingenieuren parallel dazu der Fugan Kanal gebaut, der Iwase mit der Stadt Toyama verbindet. Er wurde notwendig, da häufige Überschwemmungen den Transport ins Landesinnere unsicher machten. Um sich von einem Höhenunterschied des Wasserstands zum Toyama Hafen von zweimeterfünfzig unabhängig zu machen, wurde die Nakajima Schleuse dazwischen eingebaut. Das lernen wir auf dem Ausflugsschiff, das zweimal am Tag zwischen beiden Städten verkehrt. Die einzige Schleuse in Japan, die durch Schleusentore den Unterschied des Wasserstandes reguliert. Eigentlich eine Miniangelegenheit für den verwöhnten Hollandreisenden, hier wird sie aber als Japansensation angepriesen. Die mitfahrenden Japaner fotografieren und filmen jede Bewegung der Schleusentore, als ob es um dem Abschuss einer Mondrakete ginge. Ja bitte, es ist die einzige noch in Betrieb befindliche Schleuse dieser Art in Japan!
Doch es gibt am Ende der eineinhalbstündigen Kanalfahrt tatsächlich eine Sensation in Toyama: Das Starbucks Café Toyama. Es wurde von den Starbucks Mitarbeitern weltweit zum “Schönsten Starbucks Café“ der Welt gekürt.
Hier an der Endstation steigen wir aus und gehen etwa 20 Minuten zur Haltestelle der Straßenbahn, die uns wieder nach Iwase zurückbringt, dahin, wo wir bei Baba unseren Sentia geparkt haben. Es ist jetzt gegen 16:00 Uhr, die Museumshäuser schließen gerade und unser Leihwagen wartet als einziger Wagen auf dem kleinen Parkplatz auf uns.
Wir telefonieren mit dem Hotel und kündigen unsere Ankunft in 20 Minuten an. Der Hotelier gibt uns die genauen Koordinaten für das Navi System durch und exakt in 20 Minuten halten wir vor zwei kleinen, eingeschossigen Holzhäusern in Takaoka. Die Häuser auf der Straße erinnern uns an die Geisha Teehäuser im Gion Viertel in Kyoto.
Kaum halten wir an, springt der ‚Hotelier‘ Yotsugawa-san aus einem der Häuser und weist uns an, auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor einem wohl unbewohnten Haus zu parken.
Es ist bereits dunkel geworden, als er uns in das linke der beiden Häuser führt, um uns einen Vortrag über sein ‚Hotel‘ und den Ablauf unseres dreinächtlichen Aufenthaltes zu halten.