Teil 2 – Takaoka Kanayamachi Distrikt

Unser Vermieter, Yotsugawa-san, gibt uns einen Einblick in sein außergewöhnliches Vermietungsmodell. Beide etwa 100 Jahre alten sogenannten Lattice-Häuser (mit senkrechten Gitterstäben verkleidete Fassaden) hat er von seinem direkten Nachbarn gepachtet und darf sie nach seinem Geschmack umbauen und an Gäste vermieten.

Das hört sich erst mal nach einem abgewandelten Airbnb-Modell an, doch es ist weitaus mehr. Es ist Teil eines Revitalisierungsprogramms von Unternehmern des Kanayamachi Distrikts von Takaoka. Dem Viertel, in dem bereits vor 400 Jahren, in weiser Voraussicht, sieben Handwerker für Bronze Erzeugnisse angesiedelt wurden und zur Keimzelle der Industrie in Takaoka wurden. Bis heute werden künstlerisch, wunderschön gestaltete Wasserkessel, Vasen, Windspiele und buddhistische Gefäße aus Bronze hergestellt, allerdings stoßen sie heute auf sinkende Nachfrage. Die Wertschätzung hat sich verändert. Leider, denn die feine, künstlerische Gestaltung dürfte einmalig auf der Welt sein. Keine Massenware.

Die Unternehmer dieses Distrikts haben sich zur Aufgabe gemacht die 400-jährige Kulturgeschichte ihres Kanayamachi in die Zukunft zu retten. Einer davon ist unser energischer Yotsugawa-san. Sein Bemühen ähnelt dem in Iwase, wo die bekannte Sake Brauerei den Gang von der Tradition in die Zukunft unterstützt. In Takaoka wartet niemand auf die Präfektur oder den Staat, hier hilft man sich selbst, indem sich die Firmen zu Netzwerken zusammenschließen. Der eine produziert, die anderen handeln und verkaufen. So ein wenig, wie in Taiwan, wo wir auch nie genau wussten, wer macht eigentlich was.

Yotsugawa-san: „Ich verdiene mit diesen Häusern nicht mein Gehalt, doch mit meinem Vermietungsprojekt kann ich dazu beitragen, die außergewöhnliche Tradition und die handwerklichen Techniken des alten Kanayamachi Viertels den Menschen der heutigen Zeit wieder näher zu bringen. Wer hier einmal wohnt, lernt das Viertel kennen und wird die Geschichte der langen Kunstepoche in sich aufnehmen. Die wunderbaren, alten Häuser dieser Straße können vor dem Verfall gerettet werden. Wir haben in diese Straße investiert, Bronzefiguren vor einigen Häusern aufgestellt und den Straßenbelag aus Bruchsteinen geschaffen, zwischen die wir einzelne Bronzeteile, wie zum Beispiel kleine Herzchen oder Hasen eingelegt haben. Wenn Sie morgen diese Hauptstraße entlang gehen, werden Sie die Schönheit der alten Häuser erkennen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Besitzer ihre Geschäfte und ihre Wohnungen aufgeben, wegziehen, die Shutter herunterlassen, und damit das Leben unseres Viertels erlischt und Kanayamachi zur Shutterstraße verkommt. Wir revitalisieren unser Viertel, unsere Straße, indem wir Leben ins Viertel bringen. Aus diesem Grund habe ich dieses Projekt mit den beiden Häusern übernommen. Morgen, bei Helligkeit sehen Sie wovon ich spreche“.

Er ist kaum zu bremsen und antwortet ausführlich auf unsere vielen neugierigen Fragen. Dieser Mann hat uns mit seiner Lebendigkeit angesprungen. Wir mögen engagierte Menschen und lassen uns gerne mitreißen.

Das linke Haus ist etwas größer als das, in welches wir einziehen werden. Links können Familien mit mehreren Kindern wohnen, hier kann am Bartresen gefeiert werden.

„Am großen Tisch im Hinterzimmer wird morgen das japanische Frühstück serviert, um alles andere müssen Sie sich selbst kümmern“, sagt er und folgt unseren Blicken auf die Kunstwerke, die an den Wänden ausgestellt wurden. Dazu moderne Gebrauchsgegenstände, die raffiniert beleuchtet werden. „Das sind Gegenstände, die in Takaoka mit den alten Techniken in modernem Design hergestellt werden“, klärt uns Yotsugawa-san auf.
Bronzevasen, Sake Becher aus Holz mit Metallfüßen, geschliffene und gefärbte Weingläser, noch nie vorher gesehene Rotweinschwenker, die über einem Metallfuß gedreht werden. Fast museal finden wir und sind überwältigt von seinen Informationen. Doch jetzt wollen wir endlich ‚unser Haus‘ beziehen.

Bevor er uns das Innere des Hauses erklärt, stellen wir ihm die Frage, die uns schon den ganzen Tag umtreibt: „Woher kommen die rostbraunen Fahnen auf den Straßen und was hat es mit den Sprühköpfen in der Straßenmitte zu tun?“
Als ob er auf unsere Frage gewartet hätte, schiebt er die Eingangstüre zur Seite und zeigt auf das Straßenpflaster, das wir bis jetzt nicht beachtet haben und das aussieht, als ob unregelmäßige Bruchsteine verlegt worden wären.
„In der Mitte sind, wie überall in Takaoka, Sprühköpfe verlegt. Unsere Winter können sehr viel Schnee bringen, dann sprühen wir Wasser auf die Straßen und schmelzen damit den Schnee weg. Unser Wasser ist von Natur aus wärmer und sehr eisenhaltig, daher kommen die rostfarbenen Verfärbungen.“
Aha, in Yokohama kennen wir das Problem nicht. An der japanischen Meerseite fallen aber schon mal einige Meter Schnee im Winter. Die berühmte Tateyama – Kurobe – Alpenstraße mit seitlichen, bis zu zwanzig Metern hohen Schneewänden, führt von Toyama in und über die japanischen Alpen bis nach Nagano.

„Wann wollen Sie morgen frühstücken“, fragt Yotsugawa-san und schiebt die Türe zum Eingang ‚unseres Hauses‘ zur Seite. Wir einigen uns auf 8:30 Uhr und beginnen das Haus, das uns mehrfach ein „WOW“ entlockt, zu erkunden.

Im Vorraum steht eine alte, eiserne Anrichte, ein Holzblock mit darüber liegender Glasscheibe, lässt einen Eingang zu einem Kellerraum erahnen. „Das war früher der Eingang zu einem Fluchtraum, wird heute nicht mehr genutzt. Ab hier, bitte die Schuhe ausziehen“, klärt uns unser Vermieter auf und schiebt die nächste Türe zur Seite.

In der ersten Etage laden zwei ein Meter zwanzig breite Betten ein, zur Vorderseite des Hauses ein kleineres Tatamizimmer, für Kinder oder Gäste – Futons sind in einem extratiefen Schrank untergebracht. Hinter dem Bettenzimmer ein kleiner Raum mit Sessel und Einbauschränken. Platz ist genug da. Wir haben bisher nicht in solchen Häusern übernachtet, sind aber vom ersten Moment an begeistert. Auch von der individuellen Beleuchtung, hergestellt aus pre-used Messingmaterialen von Künstlern aus Takaoka. Dass die Küche voll eingerichtet ist und wir die kunstvollen Gebrauchsgegenstände, die wir vorab schon bei Yotsugawa-san gesehen haben, gebrauchen dürfen, müssen wir nicht weiter erwähnen. Es sind also keine Dinge zum Anschauen, sondern zum Gebrauch, und sich idealerweise daran zu gewöhnen. Ein Paradies für Re:Living Freunde. Übrigens: das Haus lässt sich bei absoluter Ruhe ohne Eingewöhnungszeit wunderbar bewohnen.