Draußen in Yokohama scheint die Sonne. Es sind 20C. Überall ganze Alleen voller Kirschblüten. Im Park am Yokohama Bay spielen Kinder, ihre spitzen Schreie, deuten auf einen normalen, sonnigen Frühlingstag in Minato-Mirai hin.
Bei genauerem Hinsehen, sieht es etwas anders aus. Die Kirschblüten werden in diesem Jahr kaum beachtet. Es sitzen nur wenige Unentwegte auf Decken unter den Bäumen, da wo sonst Tausende auf ihren blauen Plastikplanen zusammen mit ihren Freunden und Mitarbeitern „Hanami“, das Kirschblütenfest, feiern. Selbst für uns sehen die Kirschblüten in diesem Jahr weniger prachtvoll aus, eine Reflektion der uns umgebenden Stimmung. Auf den Straßen sind wenige Menschen auch kaum Autos unterwegs. Mundschutz überall, geschätzt 90% tragen eine weiße, manchmal auch schwarze Maske. Zum Schutz vor weiterer Ausbreitung und Ansteckung sind über das Wochenende die großen Kaufhäuser sowie alle Einkaufszentren geschlossen. Auch Hammerhead, ein erst wenige Monate zuvor eröffneter Hotel/Restaurant Komplex, Anlege Pier großer Kreuzfahrschiffe, ist bis Ende des Monates verwaist

Nur der OK Supermarkt ist mal wieder gerammelt voll.

Eine lautlose, gefühlt gereizte Stimmung liegt in der Luft. Selbstisolation. Unklare Lage, wie lange dauert es noch, stecken wir uns auch an? Kinder sind seit Wochen zu Hause, Schulen bleiben geschlossen. Wir sehen aber immer noch Kindergärtnerinnen mit einem Schwarm Kita-Kindern. Miye’s Mutter (97) geht wöchentlich zweimal in ihr „Day-Care-Home“ eine Senioren Tagesstätte. Für Reha, Bewegungstherapie und Unterhaltung mit den anderen Senioren. Wir wundern uns, dass Kitas und die Tagesstätte noch geöffnet sind. Welche Verantwortung lastet wohl auf den Leitern der Einrichtungen? Geöffnet halten, oder schließen? All das bedeutet weiteren Stress.

Oberflächlich sind wir heiter, wie immer. Hin und wieder nehmen wir in unserem Unterbewusstsein die dort schlummernden, frustrierenden Viren wahr, die uns das alles eingebrockt haben. Natürlich lesen wir auch heute Morgen in den deutschen und japanischen Zeitungen den aktuellen Stand der Corona Verbreitung, Kommentare und Opinions. Müssen verdauen, dass angeblich schwache Politiker zu spät ihre Entscheidungen treffen oder getroffen haben. Wir nehmen nur noch zur Kenntnis, dass vor den Super- und Drogeriemärkten große Schilder in Japanisch und Englisch darauf hinweisen, dass  Gesichtsmasken zurzeit ausverkauft sind, Küchenrollen fehlen. Toilettenpapier ist allerdings wieder erhältlich. Außerdem lernen wir neue Vokabeln wie Overshoot (zu plötzliches Explodieren der Fallzahlen), Cluster (wo sich Ansteckungen häufen), Lockdown (behördliche Anordnung zu Hause zu bleiben). Wegen der Gefahr des Overshoot bleiben die Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit weiterhin eingeschränkt. Wer möchte, sieht das alles als schrecklich an. Solche Informationen schüren selbst bei den ansonsten ruhigen Japanern tiefsitzende Ängste, Zukunftsängste vor dem Unbekannten was noch kommen wird. Was wir lesen und was wir dadurch fühlen verbreitet Unsicherheit und vor allem eine düstere Stimmung und unterschwellig gereizte Gedanken.

Japan in Corona-Zahlen per 3.4.2020 – 2.800 Infizierte (773 davon in Tokyo einer Stadt mit 14 Mio. Einwohnern) – 73 Tote. Etwa 10 Millionen Haushalte werden Yen 300.000 (ca.EUR 2.500) in „Cash Handouts“ erhalten, um die Einkommensverluste durch Corona von besonders Betroffenen abzumildern. (Quelle JT 4.4.2020)

Wie schön wäre es, wenn wir jetzt lernen könnten mit unseren Ängsten, unserer Hilflosigkeit, der Ungewissheit über unsere Zukunft,
aber auch mit jedem anderen Problem oder kleineren Problemchen umzugehen.
In Zeiten der Selbstisolation können wir beginnen unsere Zukunft zu kreieren. Sie für uns erschaffen, so wundervoll, liebevoll und im Überfluss an Bewusstsein, und allem was wir uns so wünschen.

Was uns bei der Erfüllung von Wünschen und Zielen abhält, sind plötzlich unkontrolliert aufkommende, negative Gedanken und Geschichten in unserem Kopf. Auch die uns immer wieder hemmenden Gefühle, programmiert in unserer Vergangenheit. Wenn wir diese Gedanken und Gefühle entdecken und neutralisieren könnten, würden wir ohne Bemühen das erreichen, was wir gerne möchten. Ohne Kampf und Energieverschwendung. Das musste ich in den vergangenen 40 Jahren erst einmal begreifen und auch akzeptieren. Das japanische Zauberwort dafür ist Shoganai. Da kann man nichts machen.

Fast 10 Jahre habe ich damit verplempert Shoganai abzulehnen. Ja ich habe Shoganai sogar bekämpft, Akzeptanz der Tatsachen als viel zu schwach abgetan. Shoga-aru habe ich dann argumentiert. Da kann man (immer) etwas machen.

Endlich früh genug, hat es dann doch noch Klick gemacht. Heute ist das Zauberwort Shoganai in seiner Bedeutung und seine Anwendung täglicher Bestandteil unseres Alltags.

Alle diese schrecklichen, furchterregenden Tatsachen sind in dieser Welt. Ob wir uns darüber aufregen, sie versuchen abzutun, andere dafür verantwortlich machen, an unserer Vorbereitung verzweifeln oder, oder, oder. Sie sind da, sie machen die schlechte Stimmung, lassen unsere ängstlichen Gefühle aufsteigen, hindern uns am Glücklich sein.
Shoganai – da kann man nichts machen! Oh doch!

Wer akzeptiert was ist, egal was es ist, wer sich ohne Widerstand und Auflehnung in das Geschehen fügt, der kann sofort Ruhe in seinem System schaffen. Schafft Platz für mehr Bewusstsein. Jedes Abstreiten, Lamentieren, Zerreden, jede Schuldverteilung, jedes Verdrängen, Weglaufen, Ignorieren, oder jedes hätte- wenn-und-aber hilft leider nichts. Ganz im Gegenteil es verstärkt nur noch die negative Wirkung einer ohnehin schrecklichen Tatsache. Shoganai.

Die Shoganai-Haltung ist nervenschonend und bestimmt auch blutdrucksenkend. Nur aus der Ruhe, ohne Aufregung, ohne Drama und Hysterie, ohne Übertreibung und Überbewertung kann Neues entstehen, für eine Lösung aus der Misere.

Ich dachte früher, dass Shoganai bedeutet wehrlos zu sein, sich schwach zu fühlen. Ganz im Gegenteil, aus der unaufgeregten Akzeptanz, der Aufgabe des Widerstandes kommt in der darauffolgenden Ruhe die Analyse dessen was ist, und was gemacht werden muss. Damit Kraft für das Handeln, Machen, Tun. Wer Shoganai bei Unruhe, Verlust, Problemen ausspricht, die Tatsache als solche akzeptiert, keinen Widerstand leistet, Ruhe bewahrt und sich nicht wehrlos fühlt, der entwickelt eine ungeheure Tatkraft, Kreativität mit der Lust auf Neues.

Übrigens, die 127 Mio. Japaner sagen Shoganai mehrfach am Tag, ohne sich der geschilderten Bedeutung bewusst zu sein. Die beschriebene Wirkung ist bereits in ihrer DNA verwurzelt.

Shoganai kann auch zu einfach verstanden werden. Shoganai – und damit ist alles akzeptiert. Das ist es nicht. Dann könnten wir auch beim kölschen „Et is wie et is, et kütt wie et kütt und et hät immer noch jut jejangen“ bleiben.

Wir integrieren Shoganai in unseren Alltag. Damit sehen wir zwar die Bedrohungen, bleiben aber hoffnungsvoll und zuversichtlich.

Durch Shoganai.