Das unmögliche Motto eines japanischen
Mittelständlers in Fukushima
Im vergangenen November berichtete uns Prof. Yamane https://shoganai.com/varve-museum/ über eine Firma ABLE in Fukushima, die Roboter für den Abbruch des zerstörten Kernkraftwerks No.1 – Fukushima Daiichi herstellen würde. Er möchte uns einladen zusammen mit dieser Firma den Fortgang der Aufräumarbeiten im AKW zu überprüfen, um uns ein direktes Bild im AKW Fukushima Daiichi vor Ort zu machen.
Wow, so ein Angebot wird nie wieder kommen, wir sagen umgehend zu und bereiten uns auf einen Besuch bei ABLE und dem AKW Fukushima Daiichi (No.1) vor.
Leider können wir vor unserer Rückreise nach Deutschland im Dezember 2018 keinen gemeinsamen Termin mit dem Betreiber von Daiichi, TEPCO (Tokyo Electric Power Company), ABLE und Prof. Yamane finden, so dass wir den Besuch auf das Frühjahr 2019 verschieben müssen.
Jetzt, am 24. April 2019 soll der Besuch bei ABLE und anschließend im AKW stattfinden. Wir haben die Website von ABLE studiert, können uns aber kein rechtes Bild vom Umfang und Einsatz der dort gefertigten Roboter machen.
So sind wir gespannt, was wir am 24. April sehen werden.
J-Village in Hirono/Fukushima Präfektur
Wir übernachten in Kōriyama in der Fukushima Präfektur, das wir in 11/2 Stunden mit dem Shinkansen von Tokyo aus erreichen. Am frühen Morgen fahren wir mit dem Leihwagen die etwa 150 km nach Hirono am Pazifik gelegen. ABLE soll nicht weit entfernt sein vom J-Village über dessen Wiedereröffnung am 20. April 2019 im japanischen TV ausführlich berichtet wurde. Tatsächlich, J-Village liegt keine fünf Minuten entfernt vom Betriebsgelände der Firma ABLE. Es war bis zur Reaktorkatastrophe das größte Sportzentrum Japans, nur 20 Km entfernt vom Fukushima Daiichi.
Wir sehen mehrere wunderbare Außen- und Hallen-Fußballplätze, ein Stadium, ein Hotel und einen Konferenzkomplex. Die sehr elegante, japanische Variante deutscher Vorbereitungsorte vor Fußball Welt- und Europameisterschaften. Wirklich sehr großzügig, sehr weitläufig und super modern.
Von hier aus soll auch 2020 der Olympia Fackellauf durch Japan zur Olympiade in Tokyo beginnen.
Im TV hatte der Green-Keeper folgendes berichtet: Nach dem Erdbeben/Tsunami und der anschließenden Katastrophe im AKW No.1 am 11.März 2011 lagen die Sportstätten außerhalb der damals kurzfristig eingerichteten Sperrzone. Aus diesem Grund wurde J-Village kurzum zur Wohnstätte von 700 Arbeitern und zum Logistikzentrum für das zerstörte Kernkraftwerk umfunktioniert. Auf den bisher so gepflegten Rasenplätzen wurden plötzlich Autos und LKWs geparkt, das übrige Gelände wurde für Lagerflächen benötigt. Alles drehte sich nur noch um die Rettung von Fukushima Daiichi, um die Unterbringung von Arbeitern und Material.
ABLE: Yes, it`s possible!
Schon der Name ABLE Co., Ltd. für eine japanische Firma ist ungewöhnlich, hergeleitet von „To be able to …
Diese Bedeutung des Firmennamens soll uns erst im Laufe des Tages, nach Besichtigung der Produktionsstätte und Gesprächen mit der Geschäftsleitung, dem gemeinsamen Besuch im AKW Daiichi und der Diskussion mit den Verantwortlichen des „TEPCO Decommissioning Archive Center“, richtig klar werden.
Bis zum 11. März 2011 führte ABLE auf dem Kraftwerksgelände Daiichi (No.1), in dem nur 10 km entfernten Daini (No.2) Kraftwerk sowie in den TEPCO Verbrennungsanlagen Bau-, Installations- und Wartungsarbeiten durch.
Es werden innovative Anlagen für den Neubau und die Instandhaltung von Kraftwerken entwickelt, gebaut, getestet und teilweise auch selbst betrieben. Durch und durch eine Ingenieursgesellschaft mit Fertigung.
Der 11. März 2011 ist nicht nur für Japan, TEPCO, das AKW sondern auch für ABLE der einschneidende Beginn einer Wandlung, eines kompletten Neubeginns.
Sato-san, der Gründer und Geschäftsführer der Firma berichtet uns über seine direkten Erlebnisse an diesem Tag. Sie sind für die Wartungs- und Instandhaltung u.a. für die Stromversorgung auf dem Kraftwerksgelände zuständig, betreiben dort auch ihr Büro und Werkstätten. Als um 14:46 das stärkste jemals in Japan gemessene Erdbeben mit einer Magnitude von 9.1 die Elektroversorgung unterbricht vertrauten sie darauf, dass das Notstromsystem innerhalb von 10 Sekunden anspringt, und dass die Reaktoren 1 bis 4 dann weiter gekühlt werden. Das hat erwartungsgemäß auch funktioniert.
Allerdings, etwa 30 Minuten nach dem Erdbeben überrollt der heftige Tsunami das Kraftwerksgelände und reißt mit seiner ungeheuren Wucht jetzt auch die Notstromanlage mit sich. Damit ist die komplette Stromversorgung von Daiichi abgebrochen.
Die Pumpen der Kühlsysteme für die Abklingbecken sowie für die Brennstäbe in den Reaktoren fallen aus. Was das für das Atomkraftwerk bedeutet wird ihnen, als die Verantwortlichen für die Erhaltung der Stromversorgung, sofort klar. Wenn die Reaktoren 1 bis 3 (No.4 war zu der Zeit bereits abgeschaltet und im Wartungszustand) nicht gekühlt werden, kommt es zum Gau. Als es dann in den Reaktorgebäuden 1 und 3 durch die überhitzten Temperaturen zur Wasserstoff Explosionen kommt, versuchen sie zunächst die ausgebrochenen Feuer zu löschen. Und, nachdem sich das Wasser des Tsunami etwas zurückzieht, versuchen sie die Stromquelle wiederherstellen um das System mit den Pumpen wieder ins Laufen zu bringen. Sie müssen unbedingt ein zweites Chernobyl verhindern! Höchste Alarmstufe!
Mit dem ungeheuren Verantwortungsgefühl, ohne Rücksicht auf austretende Radioaktivität, ohne Essen und Trinken, versuchen sie deshalb neue Kabelstränge zu ziehen. 24 Stunden härteste Arbeit, ohne sich einmal auszuruhen. „Es herrscht Chaos wie im Krieg, niemals vorher eingeübte Automatismen laufen ab“. Dabei führt Sato-san ganz ruhig vor wie sie schwere Kabel per Hand über ihre nach vorne gebeugten Schultern ziehen. Seine Bewegung, seine ruhige Art uns seine Gefühlslage vom März 2011 zu schildern, und die von uns nur zu erahnende Gefahr zu hoher Strahlenbelastung jagt uns einen Schauer über unsere Rücken. Gänsehaut.
Das also sind die stillen Helden dieser Katastrophe, von denen man nichts hört, die aber zum Zeitpunkt des größten Unglücks nur einen Gedanken haben, die Stromversorgung wiederherzustellen – um Japan zu retten!
Wir haben im 400 km entfernten Yokohama das Erdbeben erlebt https://shoganai.com/ihre-antwort-ist-shoganai/, was ist das im Vergleich zu dem, was diese Männer von ABLE und die vielen anderen Mitarbeiter von TEPCO mit ihrer Rettungsaktion vor Ort erlebt haben?
Der Chefingenieur von ABLE ist zur Zeit des Erdbebens zusammen mit zehn Mitarbeitern dabei in einem Tank Qualitätskontrollen durchzuführen. Er berichtet, dass sich alle nach Ausfall der Beleuchtung aus dem Tank mit Hilfe einer Taschenlampe über eine Treppe befreien können. In diesem Augenblick bricht auch schon der Tsunami über das Gelände herein. Sie können sich bis zu ihrem Büro vorarbeiten. Ihre erste Sorge ist: „Sind alle da? Fehlt niemand?“ Glücklicherweise wurde niemand verletzt, alle Mitarbeiter von ABLE wurden gerettet. Von anderen Firmen sind allerdings Mitarbeiter ums Leben gekommen. Der Verlust von Autos und persönlichen Gegenständen auf dem AKW Gelände ist dabei vollkommen unwichtig.
Trotz all ihrer Bemühungen, sie können die Stromversorgung nicht instand setzen, bringen die Pumpen damit nicht mehr zum Laufen. Sie sind bereits überhitzt.
Das Ergebnis ist bekannt.
Die Leute von ABLE arbeiten an diesem Tag im wahrsten Sinne des Wortes an vorderster Front mit. Die Gefahr für die Gesundheit durch Verstrahlung führt zu Diskussionen in den Familien der Mitarbeiter. Eltern, Frauen und Kinder der Männer von ABLE wollen die Aufräumarbeiten im AKW nicht weiter gestatten. Sie haben Angst und fordern ihre Männer zur sofortigen Kündigung auf. Das ist die Stunde des Motivators Sato-san. Er bittet seine Mitarbeiter mit folgenden Worten zum Bleiben auf:
„Wir müssen die Verantwortung gegenüber unserem Staat übernehmen.
Japan darf durch diese Katastrophe nicht untergehen. Wir sind es die Japan,
unsere Familien und die Mitarbeiter retten müssen. Wenn nicht wir, wer sonst?“
Die Männer bleiben. Allerdings muss Sato-san jetzt die Gefährdung seiner Mitarbeiter durch radioaktive Strahlung auf ein Minimum reduzieren, wenn nicht sogar vermeiden.
„Was wir dazu entwickeln werden ist die Mutter aller Erfindungen – neue Roboter“
Daraus resultiert die Idee ferngesteuerte Roboter für den Abbau von Teilen der noch stehengebliebenen Gebäude zu entwickeln und einzusetzen. Die Geburtsstunde der weltweit einmaligen, ferngesteuerten Roboter, die ABLE ab jetzt für den Abbau von hochradioaktiv belasteten Bauten für das AKW Daiichi entwickelt, selbst baut und auch betreibt.
Ihr Vorteil: Sie sind hochmotivierte Praktiker, kennen jede „Schraube“ im Kraftwerk, sie kennen die Gefahren wo Radioaktivität in erhöhter Strahlung austritt, sie kennen die Details des Zusammenbaus von Bauteilen, und sie sind mit den Örtlichkeiten vertraut. Dazu sind sie erfindungsreiche Ingenieure, die in allen technologischen Einrichtungen zu Hause sind. Das macht sie für die Aufräumabreiten und Abbau des AKW Fukushima Daiichi unter den lebensgefährlichen, niemals zuvor erprobten Umständen zum unersetzlichen Partner für den Betreiber TEPCO. Sie waren zunächst dafür verantwortlich mit ihren selbst entwickelten, ferngesteuerten Robotern radioaktiv kontaminiertes Wasser aus den Regenwasserspeichern zu entfernen, zurzeit werden Roboter entwickelt und gebaut, die zur Beseitigung von kontaminierten Bauten eingesetzt werden können.
Ein Beispiel: an den Reaktoren 1 bis 4 stehen drei 120 Meter hohe Abgastürme.
Zwei davon sind, nach Ausfall der Filteranlagen inwendig radioaktiv belastet und stehen in unmittelbarer Nähe zu den größten Strahlungsquellen auf dem AKW Gelände, den Reaktorblöcken 1 – 3. Sie können nicht so einfach abgerissen werden. In die Umwelt darf keine radioaktiv belastete Luft entweichen, die Stahlteile sind verstrahlt. In Kombination aus Anlagenbau, detaillierter Betriebs- und Wartungserfahrung sowie Entwicklung von Robotertechnologien werden von ABLE fernsteuerbare Roboter entwickelt. Diese sollen die beiden Abgastürme, ohne Gefahr für Mitarbeiter und Umwelt, abbrechen. Zweieinhalb Jahre lang wurde auf der Basis vieler gesammelter Daten getestet, sich auch mit „Trial and Error“ an die beste Lösung herangearbeitet. Beim Aufbau solcher Roboter lernen die Mitarbeiter weiter, eventuelle Denkfehler werden ausgeschaltet. Oberstes Ziel: „Sicherheit und Effektivität“.
Auf dem ABLE Betriebsgelände stehen noch die Reste der Spitze eines Abgasturms in Originalgröße. Das ist der Übungsturm, an dem der Einsatz der Roboter geprobt wurde. Die 3D-Roboter werden aus einem Bus ferngesteuert. Er steht auf dem Kraftwerksgelände 200-300 Meter vom Einsatzort entfernt. Über unzählige Sensoren und Kameras wird von hier aus der Abriss der beiden Türme ferngesteuert. Der Roboter selbst, eine tonnenschwere Stahlkonstruktion, wird zunächst über Schwerlastkräne zur Spitze des Turms gehoben. Von dort aus kann er dann durch Bohren, horizontales und vertikales Vakuum-Schneiden, und immer wieder Versiegeln (wegen der austretenden Radioaktivität), den Abriss segmentweise durchführen. Es geht dabei nicht nur um den risikominimierten Abbau des inneren Stahlturms selbst, sondern auch um die stützende, netzförmige Stahl-Außenkonstruktion. Weitere Roboter stehen in der Fertigungshalle bereit zum Transport auf das AKW Gelände. Alle Teile sind „Hand-made“ by ABLE und ihren Zulieferern.
Sie führen Datenanalysen aus den realen Tests mit 3D-CAD durch und schlagen eine geeignete Methode vor, die auf den erworbenen Daten basiert.
Später werden wir auf dem AKW Gelände den von den Kindern der ABLE Mittarbeiter bemalten Bus sehen, die Fernsteuerzentrale für den Abrissroboter der Abgastürme. Auch diesen Roboter werden wir ebenfalls neben dem Reaktor 1 sehen. Die Arbeiten beginnen nach der Goldenen Woche im Mai 2019. Eile ist geboten, denn die Arbeiten dürfen nicht von weiteren Erdbeben gestört werden. Eventuelle Cracks in der Außenhaut der Abgastürme müssen vermieden werden. Kontaminiertes Regenwasser darf ebenfalls nicht austreten.
Was uns beim Besuch bei ABLE auffiel: Die Mitarbeiter arbeiten in einer festgefügten Gemeinschaft. Sie eint das „Große Ganze“ die Rettung und der gefahrlose Abbau dieses Kraftwerks. Das alles nicht um das Kraftwerk eines Tages wieder zu betreiben, sondern nur im Hinblick auf den Abriss – ohne, dass Radioaktivität Leib und Leben gefährdet und kontaminierte Luft in die Umwelt austritt. Alle sind mit großer Freude dabei, erstmalig auf der Welt haben sie Lösungen für Arbeiten unter allerschwersten Bedingungen entwickelt. Jetzt erst verstehen wir, warum die Firma ABLE heißt. „We are able to develop solutions with robots that no one else had developed before“.
Und, dass ihr Motto heißt: „Yes, it‘s possible“ ist dann auch klar. Motivation und Anspruch! Nur wir können das.
Überhaupt ist ABLE eine interessante Firma. Es geht um deren Firmenphilosophie, die, wie wir lernen, auf der Philosophie von Kazuo Inamori, dem Gründer des Weltunternehmens KYOCERA, beruht. „Choose a Loving, Sincere and Harmonious Heart as Our Basis“.
Vor dem Sitzungsaal hängen zwei Fotos von Inamori, im Sitzungsaal selbst wird die ABLE Philosophie auf sechs Punkte verkürzt (https://global.kyocera.com/inamori/management/devoted/).
In Anlehnung an die Inamori Philosophie werden den Robotern Namen gegeben, sie sind damit zu Mitarbeitern für die Menschen von ABLE geworden: der eine heißt – „Love“ (Raupen-Roboter), der andere „Sincere“ (am Kran hängender Abbau Roboter), und „Harmony“, das ist der Bus, die Steuerungszentrale, aus dem nach der Goldenen Woche im Mai der Abbau des ersten Abgasturms ferngesteuert wird.
Wirklich ungewöhnliche Menschen in einem ungewöhnlichen Unternehmen mit einem jetzt gar nicht mehr so unmöglichen Motto: Yes, it`s possible…