Hirado

Der nächste Tag führt uns mit dem Auto nach Hirado. Zwei Stunden Fahrt zu einem weiteren Versteck der frühen Christen und dem Sterbeort des britischen Navigators William Adams. Er ist bekannt als Anjin-san aus dem Film „Shogun“ (1975, nach dem Roman von James Clavell) und der erste Brite in Japan.Er kam um 1600 mit der „De Liefde”, einem holländischen Handelsschiff nach Japan. Adams war neben Jan Joosten auch der erste Ausländer, der es in Japan zum Samurai gebracht hatte. Mr. Adams starb 1620 in Hirado.

Die Autofahrt von Nagasaki nach Hirado dauert 2 Stunden, sie führt zunächst über eine gut ausgebaute Autobahn, dann über einspurige Landstraßen. Im Hafen von Sasebo sahen wir von der über die Stadt gelegten Autobahn japanische und amerikanische Flottenverbände liegen. Dann ging es über die in roter Farbe gestrichene Hirado Hängebrücke auf die Insel Hirado, die noch zur Präfektur Nagasaki gehört. Sofort sticht das Hirado Castle ins Auge. Hoch über dem Meer gelegen beherrscht das Schloss seit 1718 die Insel. Hirado hatte sich bis zur Abschließung Japans (Sakoku) zum internationalen Hafen entwickelt. Bereits Anfang des 7. Jahrhunderts gab es von dort aus regelmäßigen Schiffsverkehr nach China. Auf Hirado hielt sich auch Kukai (Kobo Daishi )  auf bevor er sich nach China einschiffte, um mehr über den Buddhismus zu lernen.

Die ersten holländischen und britischen Handelshäuser wurden in Hirado schon 1609 bzw. 1613 errichtet. Die Engländer zogen sich allerdings schon 1623 aus dem Handel in Hirado zurück. Die Holländer mussten dann 1639 notgedrungen ihre Aktivitäten wegen Sakoku einstellen, sie durften ab 1641 nur noch von der leicht zu kontrollierenden Insel Dejima im Hafen von Nagasaki Handel betreiben.

Was uns in Hirado interessierte war die unmittelbare Nachbarschaft von der katholischer Francis Xavier Gedächtnis Kirche und dem sich nahtlos anschließenden buddhistischen Tempel und Shinto Shrine. Verbunden sind die drei religiösen Stätten durch einen langen Treppen-Weg, der unmittelbar hinunter vom Friedhof neben der Kirche zum buddhistischen Tempel führt. Wir empfanden so etwas wie Koexistenz, aber auch einen gewissen Wettbewerb zwischen dem „Einen christlichen Gott“, Buddha und den 8 Millionen japanischen Göttern des Shinto. Wir diskutierten über die Frage im Film „Silence“, wessen Gott bzw. Götter nun allmächtiger seien. Es gab keine Antwort, eben nur „Schweigen“. Im Film wurde das damals von den Japanern beschriebene Gefühl der Unterlegenheit geschildert, wenn von christlicher Seite behauptet wurde, dass der „Eine Gott“ den 8 Millionen, unendlichen vielen, aber ohnmächtigen Shinto Göttern überlegen sei. Als Beweis für die Überlegenheit des „Einen Gottes“ wurde angeführt, dass die Shinto Götter eben nur als Menschen, Ahnen, als Berge, Bäume oder als Naturgewalten letztendlich nichts ausrichten könnten.

Auffällig auch die vielen katholischen Kirchen im weiteren Umkreis, trotz Verfolgung und Folterung haben Christen auch auf Hirado bis heute überlebt. An einer Stelle, an der Christen umgebracht worden sind, steht heute das Christliche Museum, in dem Gegenstände für religiöse Zeremonien aus der Zeit gezeigt werden, die von den „versteckten Christen“ hinter doppelten Wänden, in Fußböden oder speziellen Behältnissen über Jahrhunderte versteckt wurden. Auch über Hirado weht ein Wind des Märtyrertums.

Ein Erinnerungsstein an William Adams, Anjin-san, steht auf der im alten Stil wieder aufgebauten Hauptstraße. Wir hatten den Eindruck, dass versucht wird das kleine Städtchen mit dem Fähr- und internationalen Hafen so zu gestalten, dass die Erinnerung an die „versteckten Christen“ und an Hirado als früheres Handelszentrum Japans wachgehalten werden soll. Es geht ja immerhin um eine Anerkennung als Weltkulturerbe.

Was uns besonders gut gefallen hatte, war ein kleines Restaurant. Wir haben dort  ein hervorragendes Lemon Steak gegessen, auf dem Tischgrill gebratenes Wagyu Rindfleisch aus der Region mit Zitronen Scheiben.

Shimabara Rebellion
Für uns war die Zeit gekommen von Nagasaki mit einer Fähre zur Insel Amakusa umzuziehen. Auf dem Weg dorthin kommen wir nach einer ein-ein halbstündigen Fahrt nach Minami Shimabara City, Heimat des „Arima Christlichen Museums“ und den Überresten des einst mächtigen Hara Castles direkt hoch über dem Meer gelegen.

Im Museum wollen wir uns über die Shimabara Rebellion, der die Schließung Japans folgte, unterrichten lassen. Die Geschichte wiederholt sich. Schlechte Ernten hervorgerufen durch Taifune und unergiebige Böden, hohe Steuern auf alles Mögliche wie Heizmittel, für Fenster, Eingangstüren, für Geburten und Todesfälle machten die armen Bauern noch ärmer als sie sowieso schon waren. Christen wurden verfolgt und wer seine Steuern nicht bezahlen konnte wurde zudem gefoltert durch Sitzen in mit heißem Wasser gefüllten Becken, Hängen mit dem Kopf nach unten ohne Bekleidung (dies soll die schlimmste aller Folterungen gewesen sein) oder eingehüllt in trockenes Stroh und dann angezündet. Solche Methoden gehörten in dieser Zeit zum Alltag der allmächtigen Fürsten. Menschen wurden schlimmer behandelt als Tiere.

Die meisten Menschen in der Umgebung von Shimabara und Amakusa waren Christen. Einige von ihnen waren wegen des öffentlichen Drucks allerdings wieder zum Buddhismus bzw. Shintoismus zurückgekehrt. Schnell verbreitete sich dadurch das Gerücht, dass die Menschen gerade wegen dieser Übertritte so leiden müssten. In Predigten hatten sie gehört, dass vor Gott alle Menschen gleich wären. „Warum werden wir dann wie Pferde und Kühe behandelt? Wir fragen nicht nach Essen, wir bitten nicht um unser Leben, aber wir bestehen darauf, dass wir trotz unserer hoffnungslosen Situation doch als Menschen behandelt werden wollen!“ Ein starker Wunsch, der sich in den Köpfen und Herzen der Menschen festsetzte, die sich vorher nicht getraut hatten sich derartig zu äußern.

Vor Jahren hatte ein Pater vor seinem Tod prophezeit, dass eines Tages ein Kind Gottes erscheinen würde um alle Menschen zu retten. Das machte den gedemütigten Menschen Hoffnung und ermutigte sie sich zur Wehr zu setzen.

1637 war der Höhepunkt der Demütigungen erreicht. Unter Führung des erst 16 Jahre jungen Shiro Tokisada, später als Amakusa Shiro bekannt, versammelten sich 37.000 Männer und Frauen der nahe gelegenen Insel Amakusa zum Aufstand. Die meisten von ihnen waren Christen, auch herrenlose Samurai, Bauern und Fischer, alle meist nicht für den Kampf ausgebildet. Amakusa Shiro wurde verglichen mit Jeanne d’Arc, die 200 Jahre vor ihm zur charismatischen Anführerin ihrer Armee wurde.

Der Aufstand gegen die Unterdrücker begann. Der Schlachtruf der Aufständigen:
„Stirb und komm ins „Paraiso“ (Paradies), das ist besser als weiter in der Hölle zu leben. Selbst wenn wir getötet werden, wir bleiben für immer Freunde im Jenseits.“

Diese Truppe besetzte zunächst das am Meer liegende, zu der Zeit leer stehende Schloss Hara. Sie mussten es dann allerdings gegen eine Übermacht von 120.000 gut ausgebildeten Kämpfern des Tokugawa Bakufu (Regierungstruppen) und gegen die Kanonen eines von der Regierung um Hilfe gebetenen, holländischen Handelsschiffes, verteidigen. Die Truppe von Amakusa Shiro wurde kurzerhand ausgehungert und in einer fürchterlichen Schlacht aufgerieben. Shiro wurde enthauptet, die restlichen 37.000 Männer, Frauen und Kinder, die für ihre Freiheit gekämpft hatten, starben im zerstörten Hara Castle.

Die größte Revolution der japanischen Geschichte hatte am 28. Februar 1638 ein blutiges Ende gefunden. Aus Angst vor weiteren Aufständen und Verlust der Macht verbot der Tokugawa Shogun jeden weiteren Austausch mit Ausländern. Sakoku, die Schließung Japans, begann und dauerte weit über 220 Jahre an.

Auf dem Plateau des ehemaligen Hara Castle steht heute ein Monument mit der Inschrift:
„Dies ist eine Erinnerung an alle, die ihr Leben in der Shimabara Revolution verloren haben.“

Wir wanderten über diesen menschenleeren Platz, der einst das Zentrum des Hara Schlosses gewesen ist und schauten schweigend über das Meer. So also mussten Menschen vor fast 400 Jahren für ihre Freiheit und ihre kleinen Rechte kämpfen und auch dafür sterben. Dennoch, ihre Nachfahren haben mit ihrem christlichen Glauben Generationen überlebt, indem sie im Geheimen u.a. buddhistische Figuren zu christlichen Maria und Jesus Figuren umwidmeten, Kreuze auf nicht sichtbare Stellen an Grabsteinen anbrachten und in unentdeckten Räumen beteten. Wenn bei buddhistischen Beerdigungen der Mönch die Sanskrit Sutren vortrug, neutralisierten sie diese dadurch, dass sie einen Rosenkranz in einen mit geweihtem Wasser gefüllten Krug eintauchten und wieder herauszogen, im Stillen sprachen sie dazu christliche Gebete. Das alles aus der Angst heraus, dass der Verstorbene wegen der buddhistischen Zeremonie und ohne mit den christlichen Sterbesakramenten versehen, nicht ins „Paraiso“ kommen könnte.

1873 war der Spuk vorbei, von der Regierung unter Kaiser Meiji wurde Religionsfreiheit zugesichert. Es wurden wieder Kirchen gebaut, die heute noch ihren Gemeinden dienen und über deren Besuche wir geschrieben haben.

Nach der geschichtlichen Auffrischung im Museum und dem Besuch des Hara Schlosses setzen wir mit der Fähre über nach Amakusa in Kumamoto Präfektur. Es dauerte nur 30 Minuten und wir waren auf der nächsten Insel, auf der sich über zwei Jahrhunderte Christen vor Verfolgung durch die Regierungstruppen des Tokugawa Shoguns versteckt hatten.