Yokohama ist mit 3.7 Millionen Einwohnern (Stadt Tokyo 10 Mio., Berlin 3.7 Mio.) die zweitgrößte Stadt Japans. Seit mehr als 150 Jahren prägen auch Ausländer das Gesicht der riesigen Hafenstadt.

Was sehr selten in Hafenstädten rund um die Welt ist, ein direkter Zugang zum Wasser. Das ist in Yokohama wunderbar gelöst mit dem Yamashita-Park, einer 750 m langen Promenade direkt am Yokohama Bay. Oder mit dem Rinko Park im erst in den letzten 20 Jahren neu entwickelten Minato-Mirai, der Welt von morgen mit seinen Wohn- und Büro-Hochhäusern, schicken Hotels, Shopping Malls, Restaurants, Konzerthalle, Hochzeitspalästen und dem Pacifico Ausstellungs- und internationalem Konferenzzentrum. Immer mit Blick auf die insgesamt 2 km lange, doppelstöckige Yokohama Bay Bridge. Yokohama ist eine moderne, sehr lebenswerte Stadt.

Neben der glitzernden neuen Welt gibt es aber immer noch das alte, beständige Yokohama, das uns immer wieder zu neuen Entdeckungen anzieht.

Im September haben wir noch in Düsseldorf an einer Zen Meditation über das Internet teilgenommen. Der junge Abt des Tokozenji Tempels in der Yokohama-Kamakura Gegend, weit ab von der neuen Welt in Minatao-Mirai, beeindruckte uns durch seine in Englisch gehaltene  Führung durch die Meditation. Er erzählte ein Gleichnis von einem Jungen und zehn Bullen auf der Suche nach Erleuchtung, wobei der Bulle die Lebensenergie repräsentiert, die ihn mal hierhin und mal dorthin treibt. Die Zahl zehn steht für die zehn Stadien, die der Meditierende mit der Meditation auf dem Weg für ein Leben zum höchsten Potential durchschreitet. Angefangen vom Beginn der Suche, zum ersten Gewahrsein, zur Achtsamkeit, dem Kampf mit dem Verstand, der Disziplin,  der Sinnfindung, der beginnenden Transzendenz, bis zur Leere, Stille, Nichts (japanisch Mu), der Offenbarung im Lichte höchster Bewusstheit und zum Schluss der Erleuchtung, jenseits menschlichen Verstehens.

Wir waren durch die Internet Meditation neugierig geworden, wollten den Ursprung der Geschichte der zehn Bullen fühlen.
Dazu mussten wir den Tempel besuchen. So machten wir uns spontan, ohne Anmeldung auf den Weg.

Hier im Westen von Yokohama im Bezirk Kanazawa, fast an der Stadtgrenze zu Kamakura, an einer ganz engen, einspurigen und doch in beide Richtungen zu befahrenden Ministraße liegt der Tokozenji. Eingeschnitten in einen Berg, ansteigend in einen Dschungel von grünen, tropischen Sträuchern und Bäumen, steht der Tempel inmitten eines kleinen Gartens. Rechts davon das Wohnhaus des Abtes, hinter dem Tempelgebäude ein Friedhof, mit Gräbern, die sich bis in den grünen Dschungel ausdehnen. Totale Ruhe, Stille.

In der Tempelhalle sitzt ein Gläubiger, vertieft in „Sutra Abschriften“, er verbeugt sich uns gegenüber als wir durch die Glasscheiben ins Innere der Tempelhalle schauen und ihn bestimmt in seiner meditativen Arbeit stören. An der Treppe zum Tempel neigt sich ein alter Pflaumenbaum über den Treppenaufgang. Er muss gestützt werden. Nur an der Spitze treibt er noch wenige Blätter, alles andere sieht tot aus. 200 Jahre alt, mehrfach von Taifunen umgerissen, ist er jetzt eigentlich ein Gebilde aus dicker, löchriger Rinde mit einem an seinem oberen Ende nicht zu glaubenden, unbändigen Lebenswillen.

Wir sind nicht angemeldet, möchten aber die Gelegenheit unseres Besuchs wahrnehmen, ob der Abt im Haus und zu einem Gespräch mit uns bereit ist. Ein kurzer Anruf, Schilderung unserer Meditationsteilnahme per Internet, und dass wir bereits auf dem Tempelgelände sind. Ohne Zögern werden wir eingeladen zum Eingang des Wohnhauses zu kommen. Ein älterer Herr empfängt uns freundlich, bittet uns herein und auf einem kleinen Bänkchen im Eingangsbereich Platz zu nehmen. Der Abt würde gleich kommen. Dann bringt er uns grünen Macha Tee, den er soeben aus dem Macha-Pulver für uns zubereitet hat und verschwindet wieder. Wir haben den Macha Tee soeben genossen, da bringt er uns schon wieder eine Tasse grünen Tees zur Überbrückung der Wartezeit.  In dieser wirklich nur kurzen Minute erzählt uns der ältere Herr, dass seine Frau eine „Steiner“ Anhängerin sei und einige Zeit in Europa zugebracht hätte. Ja klar, Steiner und Montessori, aber bevor wir weiter darauf eingehen können verschwindet er auch schon wieder.

Dann erscheint der Abt. Er ist jung, trägt nur einen dünnen Baumwollanzug wie ihn buddhistische Mönche tragen, dazu nackte Füße. Gerade an diesem Tag ist es sehr kalt geworden in Yokohama. Hinter der Maske können wir sein Gesicht nicht ganz sehen. Ist er das, der die Meditation geführt hatte? Ja er bestätigt das. Schnell entzündet er einen, kleinen tragbaren Gas-Wärmeofen, damit uns im engen Eingangsbereich nicht zu kalt würde.

Sofort springt der Funke über, es entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch über unsere Meditationserfahrungen, über unsere Reisen zwischen Europa und Japan und natürlich über Shoganai. Nach einiger Zeit unterbricht er das Gespräch, der Abt, Daigo Ozawa, möchte den Gläubigen, den wir in der Tempelhalle beim Abschreiben der Sutras gestört hatten, verabschieden.

Zusammen gehen wir danach in die Tempelhalle. Jetzt erst verstehen wir, dass der ältere Herr von gerade eben, Tetsugen Ozawa, der Vater von Daigo Ozawa war. Von 1978 bis 2019 war er der Haupt-Abt des Tempels bis er die Leitung an seinen Sohn Daigo im vergangenen Februar übertragen hat. Tetsugen, ein hoher Würdenträger in der japanischen buddhistischen Welt, er serviert uns unangemeldeten „Eindringlingen“ ganz bescheiden den grünen Tee. Wow.

Der heutige, 43 Jahre junge Abt, Daigo Ozawa, hat in Den Haag seinen M.A. Abschluss in Entwicklungs – Studien gemacht, war lange in England um mit Behinderten dort zu arbeiten. Er spricht perfektes Englisch und erklärt uns die Details dieser wunderschönen Tempelhalle.

Der Tokozenji Tempel ist bereits um 1200 gegründet worden. Es ist einer der ältesten Tempel der Zen-buddhistischen Rinzai Schule. Die Büste des Gründungsabtes in schwarzem Holz sitzt auf einem Sessel, zur Linken der alles überstrahlenden Buddha Figur. Mit seinem scharf geschnittenen Gesicht wurde die Figur des Gründers erst um 1750 angefertigt, belegt durch einen Brief im Inneren der Figur.

Die Decke der Tempelhalle

Als erstes erklärt uns der Abt Daigo das Deckengemälde, einen wie es scheint wutschnaubenden Drachen. Er klärt auf, dass Drachen in der östlichen Kultur nicht das Böse verkörpern. Dieser hier zeigt sieben unterschiedliche Tiere: der Mund ist der eines Alligators, auf dem Kopf trägt er ein Hirschgeweih, sein Hals ist der Körper einer Schlange, sein Körper ist mit den Schuppen eines Karpfens übersät, die Krallen gehören zu einem Adler, wobei die Augen des Drachens, den Augen einer Kuh nachempfunden wurden. Diese Tierdarstellungen haben jeweils eine buddhistische Bedeutung. Das Deckengemälde, sieht zwar alt aus, wurde aber erst 1977 von einem buddhistischen Mönch im Auftrag des Großvaters angefertigt. 1977, dem Geburtsjahr des heutigen Abtes Daigo. Er erzählt uns, wie er als Kind mit seinem Bruder in der Halle Fußball gespielt hatte und so manches Mal auch den Drachen dabei getroffen hätte. Alles sehr weltlich, menschlich. Von diesem Gemälde geht auf den Besucher ein Zauber aus, strahlt mit fühlbarer Energie.

Die Buddha Figur

Diese zentrale Figur ist nicht sehr groß. Steht in einem verschließbaren Kasten mit zwei Türen. Buddha hat ein wundervoll gütiges Gesicht und verkörpert mit dem Arzneifläschchen in der linken Hand den „Yakushi-Nyorai“, den heilenden Buddha.

Diese Figur ist über 800 Jahre alt. Sie soll sehr leicht sein, da das Innere ausgehöhlt wurde. Somit war es in den vergangenen Jahrhunderten einfacher diese Figur mit sich zu tragen. Früher wurde sie nur einmal in 30 Jahren den Gläubigen gezeigt (geheimer Buddha). Erst in den letzten Jahren wurde beschlossen diesen Buddha ständig den Gläubigen in seinem halbgeöffneten Gehäuse zu zeigen. Wir haben Glück, dass wir ihn jetzt so sehen können.

Neben dem Buddha stehen zwei Bodhisatvas, sie treten mit Buddha auf und symbolisieren die immerwährenden praktizierenden Gläubigen.

Geschützt werden diese drei Hauptfiguren von schwarzen Holzfiguren,  zwölf heiligen, bewaffneten Generälen, alle mit grimmigem Gesicht. Davor stehen sich zwei dunkelrote Elefanten mit erhobenen Rüsseln gegenüber. Sie haben an sich mit dem Buddhismus nichts zu tun. Sie sollen hier an die Zeit erinnern, in der Tetsugen, der Vater des heutigen Abtes Daigo viele Jahre in Bodhgaya in Indien verbracht hatte. Das ist der Ort, wo Buddha, Siddharta Gautama, im Jahr 534 v. Chr. unter einem Pappel-Feigenbaum seine Erleuchtung erlangte.

Kannon Bosatsu

Zur Rechten der Buddha Figur steht eine große, goldene Figur, auch wieder in einem halbgeöffneten Schrank. Es ist die Göttin der Barmherzigkeit „Kannon Bosatsu“. Das Gesicht und ihre Haltung zeugen von Güte, ein auch nach heutigem Ideal sehr hübsche Frau. Als wir hören, dass diese Figur bereits 700 Jahre alt ist, gibt es Hoffnung auch im Alter noch schön zu bleiben… Kannon Bosatsu kam erst später in den Tokozenji. Sie hat die Wirren der Meiji Restoration 1868 bis 1890, dem Inkrafttreten der Verfassung des japanischen Kaiserreichs, überstanden. In dieser Zeit wurden viele der so wertvollen Figuren, wie in einer Kulturrevolution, vernichtet. Vielleicht hat sie ihre Schönheit vor Zerstörung gerettet.

Wir sind von diesem Tempel und den Erklärungen des Abtes Daigo ergriffen. Dürfen viele Fotos machen und möchten sehr gerne wiederkommen.

Der Tokozenji ist bis auf den Zugang zur Tempelhalle immer geöffnet, es kommen auch nachts Gläubige vorbei, die sich vor der Treppe des Tempels in Gebete vertiefen. Die Schlichtheit regt dazu an die Stille des Ortes in sich aufzunehmen.

Wer nähere Informationen über den Tokozenji und seine Zen Meditations-Angebote auch per Internet, in Englisch haben möchte, besucht die Website: www.tokozenji.or.jp