RikuzenTakata

Auf unserem Weg entlang der Küste nach Onagawa versuchten wir solange Straßen, die am Meer entlangführten zu befahren, um die Fortschritte der vergangenen Jahre zu sehen.

Allerdings konnten wir die Straßen, die wir noch vor zwei Jahren gefahren waren, die uns durch leere, kleine Städte am Meer geführt hatten, vorbei an Häusern und Gebäuden, die vom Tsunami durchspült worden waren, jetzt gar nicht mehr befahren. Die teilweise markanten Gebäude waren abgerissen worden, an ihrer Stelle gab es die pyramiden-großen Steinaufhäufungen, die einmal das neue Fundament der Städte und Dörfer werden sollen, nur eben 5, 10 oder gar 15 Meter höher gelegen. Mit der vermeintlichen Sicherheit bei einem Tsunami gleicher Stärke wie der vom 11. März 2011. Dazu sollen auch die teilweise überhohen Deichmauern und Wälle sowie die gewaltigen Schleusenbauten beitragen, die an der gesamten Küste bereits fertiggestellt wurden, oder sich noch im Bau befinden. Es sieht schrecklich aus. Wer möchte hinter einer so hohen Mauer wohnen. Ohne Blick aufs Meer. Fühlen sich die Menschen dort sicherer?

img_2115_1Wir haben unsere Fragen Freunden in Ishinomaki und Shiogama gestellt.

Bislang sind nur etwa 50% der Bauwerke, die wir gesehen hatten, abgeschlossen. Es wird ständig weitergebaut, die gesamte Küste auf einem Streifen von 250 km wird noch weiter befestigt werden.

Wer soll dann auf den Pyramiden seine neuen Häuser errichten?

Die Alten, die noch in den Behelfswohnungen leben, haben sich mit der Situation abgefunden, sie wollen gar nicht mehr aus- und umziehen. Junge Leute sind entweder weggezogen oder haben bereits etwas anders gefunden. Auch wurde beanstandet, dass die Entscheidungen für die jetzige Lösung vom grünen Tisch aus getroffen wurden. Und es wird zur Diskussion gestellt, ob es nicht besser gewesen wäre die Dörfer und Städte am Meer wieder so aufzubauen wie sie einmal waren und breite Fluchtschneisen in die dahinterliegenden Berge anzulegen, so dass sich bei Tsunamigefahr jeder in kürzester Zeit – meist sind es 7 bis 10 Minuten – auf höher gelegenes Gebiet retten könnte.

Ein Beispiel ist RikuzenTakata. Bekannt wurde der Ort nach dem Tsunami, weil sich dort, nachdem die gesamte Kieferbaumallee am Strand weggespült worden ist, ein hoher Kieferbaum den Wassermassen widersetzen konnte und als Mahnmal und Wahrzeichen stehen geblieben ist. Heute kann man nur noch von einem provisorischen Parkplatz über eine riesige Baustelle zu Fuß zu diesem Baum gelangen, er ist eingerahmt von den geschilderten Stein-Pyramiden. Ein trauriger Anblick.

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Shizugawa in Minami Sanriku

Ein weiteres Beispiel sahen wir in Shizugawa Minami Sanriku. Hier war das Desaster Warnzentrum vom Tsunami durchgespült worden. Die tapfere Mitarbeiterin, die bis zum Schluss über Lautsprecherdurchsagen zum Verlassen der Häuser aufgefordert hatte, fand dabei selbst den Tod. Wir hatten mit Freunden Shizugawa noch vor drei Jahren besucht, waren über eine Straße direkt an das übriggebliebene Stahlskelett des ehemaligen Desaster Zentrums gefahren, ein weiteres Mahnmal dass allen Menschen Warnung für zukünftige Rettung vor einem Tsunami geben sollte. Heute ist auch dieses damals noch herausragende Stahlskelett zwischen den Stein-Pyramiden zu einem kleinen Monument verkommen. Nichts erinnert mehr an eine ehemals lebendige Stadt. Es wird steril werden, so wie wir es dann später in Onagawa sehen werden.

Onagawa

img_2097_1Der Bahnhof von Onagawa und das Geschäftszentrum der ehemaligen Stadt am Meer ist ein Vorzeigemodell für den Aufbau der anderen Dörfer und Städte. Wir wollten es unbedingt sehen und uns selbst ein Bild davon machen.

Die Topografie dieser Gegend wird von zum Teil steilen, bewaldeten Küsten bestimmt. In einzelnen Schluchten haben sich kleine Dörfer mit befestigten Hafenanlagen entwickelt. Da wo die Berge nicht direkt ans Meer angrenzen, wurden Dörfer und Städte mit größeren Hafenanlagen angelegt. Die Häuser wurden teilweise bis hinunter direkt ans Meer gebaut. Fischer, die dort ihre fischverarbeitenden Betriebe unterhielten, wollten nicht weitab von der Küste wohnen. So war das auch mit der Stadt Onagawa.

img_2104_1Die alte Stadt am Meer gibt es heute nicht mehr. An ihre Stelle wurde vom Meer ausgehend ein aufsteigender Hang geschaffen, der bis zum neuen Bahnhof reicht. Der erste Eindruck: Wow. Wieder riesige Erdbewegungen auch in den hinter dem Bahnhof liegenden, teilweise steil ansteigenden Bergen. Berganlagen werden hier befestigt, damit sie nicht abrutschen können. Auf erhöhten Plattformen soll dann das neue Onagawa entstehen.

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Der Bahnhof ist futuristisch. Eine Holzkonstruktion mit einem geschwungenen Dach bezogen mit weißer Folie. Einstöckig. Im ersten Stockwerk befindet sich ein Onsen, ein Bad für jeden, gegen Bezahlung. Vor dem schönen, offenen Gebäude gibt es ein gemauertes Fußbad, jedoch an dem Tag unseres Besuchs ohne Wasser. Vom einzigen Bahnsteig fährt nur eine einspurige Linie, die bis nach Sendai zur Hauptstadt der Präfektur Miyagi führt. Allerdings fährt die Bahn nach Sendai nur einmal morgens und kommt abends zurück. Ansonsten verkehrt eine Bahn im Stundentakt mit den anderen umliegenden Dörfern und Städten, wie zum Beispiel nach Ishinomaki. Zu der Zeit als wir da waren, menschenleer, kein Bahnbetrieb.

Schauen wir vom Bahnhof hinunter zum Meer sehen wir an einer breiten, baumbestandenen Promenade mehrere, sehr moderne, langgezogene Häuser. „Seapal-Pier“ das neue Geschäftszentrum von Onagawa. Holzbauten, sehr schön anzusehen, etwas skandinavisch, reichlich Parkplätze, und es sind immer noch weitere Parkplätze im Bau. Leicht vom Auto aus zu erreichen, jede Menge Geschäfte – aber leider kaum Besucher.

img_2112_1 fullsizerender_1Uns zog der Laden eines Kartonpappenherstellers an, der u.a. dort Pappmöbel ausstellt. Im Laden wirbt er mit einem roten, lebensechten Lamborghini aus Pappkarton – hier genannt Damborghini – von Damboru – Karton. Wir schauen uns das an, möchten auch gerne Geld hier lassen und damit die Läden unterstützen, finden aber nichts was wir gebrauchen könnten. Den Damborghini lassen wir da, er sieht sehr echt aus, ist der Anziehungspunkt für Bustouren, die zum Seapal-Pier gebracht werden.

img_2114_1Vom gegenüberliegenden Anchor Fullsail Coffee Shop beobachten wir, wie ein Bus mehrere alte Leute auslädt. Sie orientieren sich an einem Plan, den jeder in der Hand hält. Der erste Weg ist zum Damborghini, dann streifen sie noch etwas herum und besteigen wieder den Bus – ohne etwas gekauft zu haben. Auf unsere Frage, wann hier denn die meisten Kunden kämen bekamen wir die Antwort, „wenn es einen Event gibt, dann kommen viele Leute“. Es gibt also noch sehr viel zu tun.

Zum Abschied schenkte mir die Bedienung des Cafés den Pappbecher auf dem steht:

Never Forget 2011.3.11.