Blumenfest in Shiogama (Teil 4)
Zum Blumenfest (Hana-Matsuri) in Shiogama wird die Gottheit in einer heiligen Zeremonie aus dem Shiogama Shrine entnommen. Dann hinter Tüchern versteckt in einer tonnenschweren Sänfte untergebracht, um sie danach durch die Stadt zu tragen. Damit soll den Gläubigen in allen Stadtteilen Gelegenheit gegeben werden die Gottheit zu begrüßen, insbesondere dann, wenn sie nicht fähig sein sollten selbst zum Shrine hinaufzugehen.
Die Götter vom Shiogama Jinja können insgesamt drei Mal in einem Jahr alle Stadtteile
von Shiogama mit einer solch aufwändigen Zeremonie besuchen.
Das Herausnehmen aus dem Shrine ist eine heilige Handlung, bei der kein Blick auf die Gottheit, selbst wenn sie versteckt hinter Tüchern in die Sänfte verbracht wird, fallen darf. Bei unserer Ankunft verharrten all diejenigen, die später im Umzug durch die Stadt mit der Gottheit mitgingen, in einer lang anhaltenden Verbeugung vor der Gottheit. Während dieser Zeit wurde sie in die Sänfte verbracht.
Niemand der Anwesenden warf selbst einen versteckten Blick auf diese Szene. Das waren junge Mädchen und Burschen in herrlich bunten Kostümen, Männer in verschiedensten Samurai Gewändern und die weiß gekleideten Träger der Sänfte. Ein berührender Anblick die Menschen in ihrer tiefen Verbeugung zu beobachten. Sie ließen uns gewähren und uns Fotos von diesem zeremoniellen Augenblick schießen. Die Situation war deshalb für uns so berührend, weil wir es nicht mehr gewohnt sind uns solange in tiefer Verbeugung zu halten. Hier tat es das Kollektiv der versammelten Gläubigen.
Am Shrinehttp://www.kankoubussan.shiogama.miyagi.jp/english/jinja/index.html wurden wir von unseren Lions Freunden des LC Shiogama empfangen und gleich an den Stellen des großen Blumenfests so platziert, dass wir die beste Sicht auf dem Umzug und einen guten Standort für unsere Fotos haben konnten. Obwohl die Kirschblütenzeit langsam vorüber war, blühte hier jetzt, erst Ende April, die spezielle Shiogama Sakura, eine zartrosa Kirschblüte aus der kleine grüne Blättchen herausstechen. Sehr ungewöhnlich und nur in Shiogama zu finden.
Unterhalb der steilen Steintreppen, die zum Shrine hinauf führte, konnten wir die Männer in ihren weißen Umhängen, mit ihrem weißen Papier-Mundschutz (damit die Gottheit in der Sänfte nur ja nicht angehaucht werden kann), beobachten. Mit ihnen kamen wir auch ins Gespräch. Diese Truppe von insgesamt 120 Männern trugen auf ihren Schultern die Sänfte mit der Gottheit die 202 Stufen vom Shrine hinab, dann 17 km durch die Stadt Shiogama und danach spät abends wieder hinauf zum Shrine. Jeweils 16 Männer tragen die schwere Last und werden immer wieder von ihren Mithelfern, die für einen möglichen Schwächeanfall der Träger ein Auge haben, abgelöst. Jeder einzelne hat dabei ein Gewicht von etwa 65 kg zu schultern.
Wir konnten bis zum Schluss immer hautnah dabei sein, zogen sogar später bei eintretender Dunkelheit mit den Frauen von Shiogama eine kleinere Sänfte auf Rädern durch die Stadt. Eigentlich müssten wir den „Wagen“ auf ebener Straße an langen Seilen mit den Damen zusammen „nur“ ziehen. Das allerdings im Galopp, so dass bei uns die Puste auch sehr schnell ausging. Da hatten wir dann hautnah einen Eindruck davon bekommen, was es heißt eine tonnenschwere Sänfte so viele Kilometer durch die Stadt sowie die Stufen vom und zum Shrine herunter und hinauf zu tragen.
Lions Freunde vom LC Shiogama begleiteten uns über die ganze Zeit, führten uns zum gemeinsamen Lunch ins französische Restaurant Chez Nous, machten zusammen mit uns die Bootsfahrt durch das Naturwunder, Inselgewirr von Matsushima, und organsierten zum Abschluss unseres Besuchs ein gemeinsames Dinner mit weiteren Freunden des LCs. Den Oberbürgermeister, Herrn Sato, sahen wir immer wieder einmal, er freute sich über unseren Besuch in seiner Stadt, ist übrigens auch Mitglied des LC Shiogama.
Unsere unvergessliche Bootsfahrt durch die wunderschöne Insellandschaft von Matsushima führte uns zum Zuigan-ji Tempel. Matsushima zählt zu einer der drei schönsten Landschaften Japans. Als der uns bereits aus Hiraizumi bekannte Haiku Dichter Matsuo Bassho https://de.wikipedia.org/wiki/Matsuo_Bash%C5%8Derstmalig nach Matsushima kam, wird überliefert, dass er von der Schönheit der Insellandschaft so beeindruckt war, dass er weiter nichts sagen konnte als: „Ahh Matsushima, Ahh Matsushima“ Mehr Worte können über diese Landschaft auch nicht gemacht werden. Die bewaldeten, teilweise auch bewohnten Inseln, hatten die Stadt Matsushima im März 2011 vor größeren Zerstörungen durch den Tsunami gerettet. Das Wasser strömte zwar einige hundert Meter ins Landesinnere. Es konnte aber nicht mehr die zerstörerische Wucht entfalten, die der Tsunami an anderen, nicht durch diese Inselwelt geschützten Küstenstriche, angerichtet hatte.
Zum Zuiganji Tempel in Matsushima http://en.wikipedia.org/wiki/Zuigan-jiführt eine langeAllee vom Meer hin bis zu den Tempelgebäuden.
Eine Seite der Allee liegt etwas höher. Hier wachsen hohe, teilweise jahrhundertalte Zedernbäume, während auf der anderen, etwas tiefer gelegenen Seite, das Salzwasser die dort stehenden Zedernbäume bereits zerstört hatte. Im Tempelbezirk trafen wir auch wieder auf Masamune Date aus Sendai. In der großen Halle werden u.a. die für den Hausaltar bestimmten Namenstafeln der verstorbenen Masamune und Tadamune Date aufbewahrt. Zusammen werden sie mit dem besonderen Heiligtum des Tempels, einer Statue des Gottes der Barmherzigkeit, dort ausgestellt.
Etwas höher gelegen, das Yotokuin Mausoleum
http://www.matsushima-kanko.com/en/zekkei.htmlerrichtet für Megohime, der Frau von Masamune Date, die im Alter von 86 in diesem Tempel im Jahr 1653 verstarb. Hier hatte sie bis zuletzt „Shugyo“ http://www.lion-gv.com/v08/shugyo/html/what_is_shugyo.html, ein asketisches Training absolviert. Beim Shugyo geht es um die Form der Vertiefung von Wissen, Weisheit, Erfahrung und technischen Fertigkeiten – im Gegensatz zur reinen Anhäufung von Wissen, Erfahrung und von Fertigkeiten.Eindrucksvoll, da wir im heutigen Japan genau diese Form der Vertiefung zB. im Handwerklichen immer noch antreffen können. Wenn ein Meister über seine kunstvolle Art der Holzbearbeitung sagt: „ich habe vergessen wie es geht, aber mein Körper erinnert sich, er weiß es“.
Wir hatten mal wieder Glück, weil die Haupthalle des Zuigan-ji Tempels zurzeit restauriert wird, konnten wir das Yotokuin Mausoleum von Megohime besuchen, sonst ist es für Besucher geschlossen. Dieses eigentlich kleine Mausoleum erinnert sehr stark an das ihres Mannes Masamune in Sendai. Es ist im gleichen Momoyama Stil errichtet und wirkt im Schatten der hohen Bäume, abgeschiedenen von den anderen Gebäuden des Tempelbezirks, wie ein Schmuckkästchen.
Mönche des Zuigan-ji Tempels hatten in der Vergangenheit in die hohen Sandstein-Felsen links des Weges zum Meer hin, zur vertieften Meditation große Wohnhöhlen gekratzt. Sie sind zum größten Teil erhalten geblieben und wurden damals bei jedem Wetter über Jahre hin von den Mönchen bewohnt. Dies war eine Art der meditativen Askese, die auch heute noch in anderer Form von Mönchen in Japan praktiziert wird um Klarheit bis zur Erleuchtung zu erlangen. In unseren Augen scheint das vielleicht zu hart zu sein. Gerade solche Übungen, um dieser Härte zu widerstehen, sind uns immer wieder auf unserer Reise begegnet: erinnern wir uns an die Träger der tonnenschweren Sänfte vom Shiogama Shrine, die Marathon Läufer in Yoshino-Yama, selbst die hockenden Gärtner im Tenryuji Tempel in Arashiyama und, nicht zu vergessen, die Fischer von Ohzashi, die sich von den Härten der Natur nicht unterkriegen lassen.
Unser Busfahrer hatte auch einen harten Tag, er musste bis 21:00 ausharren, dann erst hatten wir „mit unseren Augen und Fotos“ die Sänfte mit der Gottheit die 202 Stufen wieder hinauf zum Shrine getragen. Diesmal schoben von hinten, wie beim Rugby, etwa fünfzig der in weiß gekleideten Männer die 16 Träger die Treppe hinauf. Die gemeinsam „ertragene“ Anstrengung der Männer für die Gottheit legt den Grundstein für die enge Verbindung untereinander, die sie ein ganzes Leben aufrecht erhalten werden. Schauten wir in die Gesichter der einzelnen Träger, dann sahen wir Anstrengung, aber auch ihren Willen diese Last für die Gottheit mit den anderen gemeinsam zu tragen.Gerade als die Sänfte auf der Hälfte der langen Treppe empor getragen und geschoben wird, werden die Träger von zwei Gruppen Taiko Trommlern durch die rhythmisch geschlagenen, tief klingenden, ermutigenden Trommelklänge unterstützt. Alle Zuschauer klatschen dazu und rufen den Trägern zu: „Domo arigato, domo arigato“. In diesem Augenblick konnten wir unsere Verbindung mit den Trägern, den Taiko Unterstützern und den klatschenden, dankbaren Zuschauern spüren und ihr tiefes Gefühl teilen. Gänsehaut.
Von einem Lions Freund, der dies in früheren Jahren schon viele Male selbst mitgemacht hatte, wissen wir, dass nur „innerlich gereinigte“ Männer dies durchhalten können. Dazu gehört ihr starker Glaube, der ihren starken Durchhaltewillen nährt. Er nannte diese Art die Gottheit solange durch die Stadt zu tragen, eine der härtesten Übungen zum Frühjahrsfest in Japan.
Die Nacht verbrachten wir diesmal in einem Business Hotel in Sendai, gar nicht so schlecht und direkt am Shinkansen Bahnhof von Sendai. Wir waren vom Super WESTIN Hotel in Sendai verwöhnt und begeistert, jetzt lernten wir ein typische Business Hotel kennen. Wunderbar. Am kommenden Morgen konnten wir, nachdem wir uns schon mit Bussen, U-, S- und Straßenbahnen, Seilbahn, Taxis, und Fahrrädern, einem Schiff und dem Flugzeug fortbewegt hatten, wieder mit dem pfeilschnellen Shinkansen mit über 300 km/h nach Tokyo brausen.
Bilder : Teilweise von Uli Richter
Die Fortsetzung „Das Japan von heute“ folgt im nächsten Mail Magazin (Teil 5.)