Einmal im Jahr wird in unserem Gebäude in Yokohama der Strom abgestellt. Es läuft dann für die 250 Wohnungen nichts mehr, auch keine Aufzüge. Es ist für 6 Stunden dunkel im Haus. Der Grund: die jährlichen Service- und Sicherheitsüberprüfungen. Das heißt dann bis 10:00 raus, oder die nächsten 6 Stunden in der Wohnung zu überdauern. 25 Etagen zu Fuß ist für eine morgendliche Fitnessübung zu viel des Guten. Bereits einen Tag vorher wurde das warme Wasser von 10:00 bis 16:00 abgestellt, so mussten wir uns für zwei aufeinanderfolgende Tage eine neue Tagesordnung geben.
Wir haben uns entschlossen zum Mittelpunkt Tokyos zu fahren. Zur Nihonbashi. Nihonbashi wurde erstmals im 17. Jahrhundert gebaut, um den am Kanal liegenden Fischmarkt mit anderen Stadtteilen zu verbinden. Vor ca. 100 Jahren wurde die damalige, bestimmt sehr eindrucksvolle Holzbrücke – heute noch in Teilen im Tokyo Edo Museum zu besichtigen und zu begehen – durch eine Steinbrücke mit wundervollen schmiedeeisernen Jugendstil-Laternen ersetzt. Dann zur Tokyo Olympiade 1964 wurde Nihonbashi mit einer quer darüber liegenden mehrspurigen Autobahn überbaut. Es sieht grässlich aus; so versuchen sich wenigstens diese hohen, alten Laternen ihren Platz zu erhalten indem sie in die Lücke zwischen den Fahrbahnen der Autobahn hineinragen. Eigentlich eine städtebauliche Unverschämtheit. Aber beim Wirtschaftsaufbau Anfang der 60ziger Jahre lag die Priorität mehr auf Effektivität in der Verkehrsbewältigung, es ging weniger um Schönheit und städtebauliche Ästhetik. Zur Tokyo Olympiade 2020 wird nun ein Abriss der Autobahn mit Verlegung in einen Tunnel erwogen. Das ist symbolisch hochinteressant, heute soll es wieder mehr um die Ästhetik für den Menschen und weniger um die reine Zweckmäßigkeit gegen den Menschen gehen. Ein Grund warum bei herrlichem Sonnenschein wieder unzählige Menschen den Abriss der Autobahn über der Nihonbashi durch ihre Unterschriften erzwingen wollen.
Das Viertel um Nihonbashi und dem altehrwürdigen Kaufhaus Mitsukoshi hat in den vergangenen Jahren stark gelitten. Ein Revitalisierungsplan hat jetzt dieses Gegend aufgewertet und in neuem Glanz erscheinen lassen. Dieser Glanz wurde zu unserem Ziel.
Mitsukoshi erscheint in neuem Outfit. An den breiten Eingangsportalen neben den berühmten Trafalger Löwen wehen die Noren, großzügige blaue Vorhänge, die vor jedem Geschäft hingen und heute noch vor vielen Restaurants aufgehängt werden. Gegenüber wurden drei Häuserblocks unter dem Namen COREDO Muromachi 1 – 3 errichtet. Es ist den Investoren dabei hervorragend gelungen moderne ästhetische Architektur mit fast historischem Inhalt in neuem Gewand zu einer Gemeinschaft zu vermischen. Die kleinen Läden für japanische Handwerkskunst, die früher in dieser Gegend ihre hochwertige japanische Ware anboten, wurden in die COREDO Gebäude integriert. Jetzt bieten sie in hellen, aufeinander abgestimmten Ladenlokalen, über mehrere Etagen ihre Produkte, angepasst an den heutigen Geschmack, an. Endlich können sich die gewebten Schals, die Holz- und Lackarbeiten, Papiere, oder die Messer und Scheren in der dafür passenden Umgebung richtig darstellen, und es wird wieder gekauft. Wir selbst haben natürlich auch zum Umsatz beigetragen und einen modernen Imabari Schal gekauft, auf alten Toyoda Webstühlen von ca. 1910 nach alten Vorlagen gewebt. Die moderne Atmosphäre regt dort zum Einkaufen an.
Restaurants gibt es über mehrere Etagen. In die Gebäude wurden die alten kleinen Seiten- und Parallel-Straßen mit eingebaut. Hier vermittelt ein Restaurant neben dem anderen den Eindruck, dass wir uns im alten Tokyo bewegen. Ein sehr gelungenes Projekt. Ein neuer Anziehungspunkt im alten Herzen Tokyos. Die Revitalisierung des gesamten Stadtteils ist gut gelungen.
Als wir um 16:00 wieder unser Gebäude in Yokohama betraten, war alles so wie immer. Die Aufzüge liefen, alles war hell erleuchtet. Bis zur nächten Inspektion im Oktober 2015.
Unsere herbstlichen Grüße aus dem späten, auch revitalisierenden Sommer in Tokyo.