Über den Zen-buddhistischen Steingarten im Daisen-in, Kyoto

Alle Jizo tragen die in Nishijin gewebten Schürzen

Alle Jizo tragen die in Nishijin gewebten Schürzen

Wer zu Fuß vom Kaiserpalast in Kyoto zum Daitokuji Tempelbezirk geht, durchquert das alte Nishijin Gebiet. In fast allen Häusern dieses Viertels standen Webstühle, auf denen die kostbaren, teils mit goldenen Fäden durchzogenen, Obis für die Kimonos des alten Japans gewebt wurden.  Heute hören wir nur noch vereinzelt hinter den geschlossenen Fenstern und Türen das Klappern der hand- und fußbetriebenen Webstühle. Bis vor 30 Jahren hatte das klappernde Geräusch den Wohlstand dieser Weber im Nishijin Gebiet verdeutlicht. Die meisten Webereien sind heute geschlossen, die Häuser zum Teil an junge Künstler vermietet.

Hinter dem Weberviertel, den meisten ausländischen Touristen nicht einmal bekannt, liegt der Daitokuji Tempelbezirk. 26 unterschiedliche, von Lehmmauern umgebene und teilweise durch verschlungenen Wege, voneinander getrennte Tempel und Wohnhäuser der einzelnen Äbte. Hier könnten wir den ganzen Tag rumlaufen und uns der Schönheit dieser gesamten Anlage hingeben. Ein buddhistisches Mittagessen inklusive.

Wir haben uns für Steingärten des Daisen-in interessiert und zunächst das Gespräch mit dem Abt Soen Ozeki (83) über die Bedeutung des Shoganai geführt.
https://shoganai.com/?p=1588

Morgens beginnt der Tag von Soen Ozeki mit folgenden Sätzen:

Jeder Tag im Leben ist Übung, Übung für mich.

Wenn ich auch scheitern mag, lebe ich doch jeden Augenblick im Einklang mit allen Dingen, bereit für alles.

Ich lebe – ich bin dieser Augenblick. Meine Zukunft ist hier und jetzt.

Denn, kann ich das Heute nicht ertragen, wo und wann werde ich es?

IMG_7713_1Über diesen Steingarten, der sich quadratisch um die Haupthalle des Daisen-in legt und im Jahre 1509 bei Gründung des Daisen-in angelegt wurde, schreibt der heutige Abt Soen Ozeki:

„In der Muromachi-Zeit (1333-1568) wurde das Land um die Hauptstadt Kyoto herum immer rarer. Selbst reichen und mächtigen Adligen war es geradezu unmöglich größere Grundstücke in ihren Besitz zu bringen; der Druck der Gesellschaft unterband dieses Ausdehnungsstreben. Der Wunsch sich mit einem Garten zu umgeben und wie in früherer Zeit der Natur stets und überall nahe zu sein, blieb natürlich bestehen. Mit dem Eindringen des Zen-Buddhismus aus China betrachtete man diesen Garten nun immer mehr als Darstellung des „Gesetzes Buddhas in der Natur“. Alles in ihm, selbst das Zwitschern eines Sperlings oder das Muhen einer Kuh, wurde als Predigt Buddhas angesehen, dass jeder einzelne Mensch aus eigener Kraft zur Erkenntnis seiner Buddha-Natur gelangen muss und, dem Ideal des Zen entsprechend, in seinem Streben nach diesem Ziel nie erlahmen darf.

Daher überrascht es wenig, dass die Gartenmeister der Muromachi-Zeit in ihren Schöpfungen stets darauf zielten, diese Lehre gleichnishaft Ausdruck zu verleihen. Nicht nur in ihrer Gesamt-Komposition, sondern manchmal auch durch unbedeutend erscheinende Details offenbaren die Gärten, die sie auf engem Raum aus Steinblöcken, Kies und wenigen sorgfältig gestutzten Bäumen schufen, dem Kundigen symbolisch die Weisheit des Zen. So bedeutet der in vielen Formen wiederkehrende sogenannte „trockene Wasserfall“, bei dem heller Kies die Rolle des Flusses übernommen hat, z.B. das ungestüme Vorwärtsdrängen des Menschen, den Strom seines Lebens mit seinen Klippen, Wirbeln und Untiefen.

IMG_7731_1Gleichzeitig sind diese Gärten auch Symbol und Abbild der ganzen Natur. Wesen und Bedeutung des Gartens werden in der Muromachi-Zeit also völlig neuartig verstanden: Er ist nicht mehr Ort der Erholung und Muße, wohin der Mensch sich zurückzieht, sondern will vom angrenzenden Zimmer aus gewürdigt werden, soll dem Beschauer die Lehre des Zen vor Augen führen und ihn zur Meditation anregen. Als vereinfachtes und verdichtetes Abbild der Natur ist ein solcher Garten gleichzeitig jedoch stets ein Kunstwert, dessen Harmonie und Schönheit umso deutlicher werden, je länger der Betrachter davor verweilt.“
https://en.wikipedia.org/wiki/Daisen-in

Dadurch, dass nicht so viele Gruppen durch die Anlage des Daisen-in geführt wurden, hatten wir die Ruhe und die Zeit uns in die einzelnen Bilder des nur 100m2 großen Gartens – eine dreidimensionale Abbildung der Landschafts- Malerei dieser Zeit  – zu vertiefen. Eine gute Übung für uns.

Weiterhin eine herrliche Winterzeit.